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Kein Ort - Nirgends

Kein Ort - Nirgends

Titel: Kein Ort - Nirgends Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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spöttisch stellen.
    Ihre Gunst zu verdienen, Savigny, reicht es nicht aus, vortrefflich zu sein. Denn sonst müßten Sie doch entsetzlich verliebt in mich sein, was ich nicht glaube. Ich lege Ihnen alle meine Vollkommenheit demutsvoll zu Füßen, Sie aber treten drauf, als wären’s Pflastersteine. Sagen Sie mir doch, wie man Ihre Liebe erwerben kann. Hab ich dich nicht gewarnt, Günderrödchen, je wieder in meiner Gegenwart eine gewisse goldne Uhr an einer Kette um den Hals zu tragen? Und was seh ich: Du tust es doch.
    Weil ich ja weiß, Savigny, daß kein goldnes Ührchen und überhaupt gar nichts an der Günderrode Ihnen gefährlich werden kann. Aber sag mir doch, ob die sympathetische Chiffre, die ich dir nach deinem Hochzeitstag in den Flanell genäht hab, wirkt oder nicht.
    Du willst wissen, wie man meine Liebe erwerben könne. Aber du weißt es doch selbst, was außer Vortrefflichkeit nötig ist: das rechte Verhältnis von Selbständigkeit und Hingabe.
    Ich dachte, Savigny, von Ihnen etwas Originelleres zu hören.
    So hörst du nicht richtig hin, Günderrödchen, ich merk es an deinem Ton. Ich habe dir oft über deinen Mangel an Vertrauen, über deine outrierte Selbständigkeit geklagt.
    Sie sind sehr freundlich. Sie sagen outriert, um nicht verstiegen zu sagen. Auch daß Sie es mir ausdrücklich verboten, Sie Du zu nennen, war bedeutungsvoll, sehr bedeutungsvoll. Es fehlte noch etwas. Dadurch ist es ein Ganzes geworden. Doch ich beklage mich nicht. Wer sich im andern irrt, hat das größere Unrecht.
    Unbeherrscht, unberechenbar, maßlos, outriert. Ach Savigny. Es war doch nichts als ein Gedicht, ja, zugegeben, eine zu rasche, zu unbeherrschte Geste. ›Der Kuß im Traum.‹ Was sollte dir das, zwei Wochen vor deiner Hochzeit. ›Es hat ein Kuß mir Leben eingehaucht . . .‹ Und hab dazusetzen müssen, ich kannte mich selbst nicht mehr: Ist wahr. Solche Dinge träumt das Günderrödchen, und von wem? Von jemand, der sehr lieb ist und immer geliebt wird.
    Ach Savigny. Mehr als schämen kann sich der Mensch nicht, du hättest wohl schweigen können. Du hättest wohl still werden sollen vor dem Schmerz, der ganz wahr ist, das müßtest du fühlen. Und daß ich in eine strenge Fessel geschlagen war. – Jetzt hab ich ›war‹ gedacht.
    Savigny! Eben hab ich ›war‹ gedacht.
    Nun und? Was freut dich so daran? Darf man’s wissen? Nein, Savigny. Man darf es nicht wissen. Man muß überhaupt nicht alles wissen, Hauptsache, unsereins weiß. Doch da fällt mir eine kleine Geschichte ein, die ich Ihnen noch erzählen muß. Vor einigen Jahren stand ich mit einem gewissen jungen Menschen in dem Leonhardischen Garten auf dem Balkon, wir waren allein, und ich hätte gerne mit ihm gesprochen, aber eine gewisse Beklemmung, vielleicht gar Herzklopfen, hielt mich zurück; der junge Mensch war auch eine Weilestill, endlich mochte er wohl das lange Schweigen für unschicklich halten, er fragte mich: Wie geht es Ihrem Bruder? Ist er noch in Hanau? – Diese Frage machte mir einen äußerst unangenehmen Eindruck, ich hatte eine Empfindung dabei, die ich nicht leiden kann. Sagen Sie selber, hätte der junge Mensch nicht etwas viel Ordentlicheres fragen können?
    Recht so, lieber Freund. Das hat der Savigny verdient. Zahl dem dummen Savigny seine Dummheit heim.
    Daß ihr immer nur euch seht. Wie boshaft, wie ironisch, wie abscheulich der Freund wieder ist, nicht wahr? Anstatt sanft und milde zu sein. Dabei wollt ich nur sagen: Ich weiß es jetzt, wieso wir aneinander vorbeilaufen mußten wie zwei blinde junge Hunde, und es wär mir lieb, Sie wüßten’s auch.
    Haben Sie nicht immer ein bißchen vagiert, lieber Freund? Auch in der Freundschaft?
    Und zeigt die Frage nicht, lieber Savigny, daß Sie all die Zeit über nichts von Ihrem Freund, Ihrer Schwester, Ihrem Günderrödchen gewußt haben? Daß meine Natur Ihnen unheimlich war, weil sie Ihnen Rätsel aufgibt? Daß Sie sich nicht die Mühe machen wollten, herauszufinden, wem Sie glauben konnten: dem eignen Augenschein oder dem Gerücht, das mich mal als kokett, mal als prüd, mal als einen starken männlichen Geist, mal als den Inbegriff sanfter Weiblichkeit hingestellt? Und das nicht imstand ist, was der Freund sollte, hinter all den Fassaden das Gesicht zu sehn?
    Schimpf nur, Günderrödchen. Der Savigny hat sich’s verdient.
    Im Ernst, lieber Freund. Mein Herz hat sich von Ihnen abgewendet: Das ist es, eben fällt’s mir ein, was ich dirdie ganze Zeit über sagen will,

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