Kein Ort - Nirgends
ein bescheidnes Auskommen oder die blanke Armut und ein ungebrochnes Selbstgefühl.
Das kann man nicht ernst nehmen. Man lacht, gestikuliert, geht zu den Frauen. Savigny nimmt Kleist am Arm. Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, Kleist, sagt er. Aber mich dünkt, Sie sehn Ihre Lage gerade um so viel zu ausweglos, als Sie brauchen, damit es Sie niederwirft.
Lust am Leiden? Das hat gefehlt. Wenn sie ahnten, wie es ihn zur Lust an der Freude zieht. Wie er unter frohen Menschen als einer der Ihren leben möchte, einer Tätigkeit nachgehn, die ihn ernährt und nicht zugleich ruiniert. Aber wie kann der wissen, daß es dies einfache Glück auf der ganzen Gotteswelt für ihn nicht gibt.
Lassen wir es, sagt er zu Savigny. Verübeln Sie mir mein Benehmen nicht. Gott weiß, und ich, glauben Sie mir, weiß es auch, daß dem Menschen oft nichts andres übrig bleibt, als Unrecht zu tun – sei’s gegen andre, sei’s gegen sich selbst. Und daß man sich wohl abfinden muß, dies die Weltordnung zu nennen.
Im milden Nachmittagslicht, das durch die Fenster hereinfällt, versammelt man sich wieder um den großen Tisch.
Die Günderrode sehnt sich ins Freie, gerne würde sie in Ruhe die Einsichten in sich wachsen lassen, die ihr im Gespräch mit der Bettine gekommen sind, aber Lisette zieht sie beiseite. Lisette, die Kluge, Gebildete, mit ihren romanischen Sprachen, ihren botanischen Studien, mit ihrem Hang zur Poesie und mit diesem Blick, der nur an ihrem Manne hängt, Nees von Esenbeck, dem hageren munteren Menschen, dessen Kränklichkeit seiner Frau eine andauernde Sorge und ein schwerer Vorwurf ist.
Sie sagt der Günderrode rundheraus, daß sie es ungebührlich findet, wie sie vor aller Augen Heimlichkeiten mit der Bettine hat.
Eifersucht? Tränen? Lisette! Wenn ich eine Frau für glücklich hielt, so bist du es gewesen.
Das soll auch gelten, Lisette besteht darauf, soweit es Nees betrifft. Wahr ist aber auch, daß die bürgerlichen Verhältnisse eine Frau unglücklich machen müssen. Die niedergehaltenen Leidenschaften . . .
Dies Wort? Die Günderrode staunt. Man kennt sich nicht.
Die Lisette hält ihr vor, sie habe alles vergessen, was einst zwischen ihnen gewesen sei. Wie sie abends so oft vertraut in der Günderrode Stiftzimmer beisammen gesessen; wie sie, die Lisette, vor einem gleichgültigen Besucher geflohen und dann am Hinterpförtchen des Stifts auf sie gewartet, als wär ich dein Geliebter, Lina, und wir hätten ein Verhältnis miteinander. Wie wir uns küßten, als du herauskamst. Sehr dunkel war es, bis aufdie schmale Mondsichel am Horizont, und der Jasmin duftete.
Die Günderrode erinnert sich nicht, aber sie schweigt. Als wenn die Jahre durchsichtig wären, sieht sie die junge und die alte Lisette nebeneinanderstehn, und die eine weiß von der andern nichts. Die Veränderung ist unaufhaltsam, und ich, denkt sie, möchte sie nicht erleben.
Da ist der Augenblick von Vertrautheit vorbei. Die Lisette muß, sogar im engen Kreis, ihren Stand als verheiratete Frau hervorkehren. Sie übertreibt ihre Fürsorge für Nees, bittet, man möge das Fenster schließen, Zugluft bekomme ihm nicht. Eine Art von Rache, wenn die Frau, da sie selbst nicht hervortreten darf, sich ihren Mann zum Kinde macht. Ich kann darüber nicht mit ihr sprechen, denkt die Günderrode, die frühere Offenheit ist dahin. Auch sie wird mich bald für hochmütig halten. Eine schlimme Gewohnheit, die Freunde mit Abschiedsblicken zu messen; schlimmer noch, sich vorstellen zu müssen, was sie über unsern nahen Tod einander sagen werden.
Hochmut. Die Günderrode weiß es im innersten Innern, wo sie unerbittlich mit sich ist, der Vorwurf ist so abwegig nicht, wenn er auch, wie Vorwürfe meistens, den Kern nicht trifft. Hochmütig, das ist sie. Grade eben, als sie mit der Bettine in der Fensternische gesessen und als diese ihr lebhaft vom Geist der Unbedeutendheit sprach, da ging es ihr auf, wie nötig ihr dieser Geist, wie nötig ihr die Freundin ist, um jenes verborgene Gefühl von Überlegenheit, das sie seit je von andern trennt, immer wieder in sich aufzulösen. Unbedeutendheit! Die Bettine ahnt nicht, wie das Wort ihr nachgegangenist, als es in einem ihrer Briefe zum erstenmal erschien. Jetzt sagt sie keck und nicht ohne Triumph zu Lisette und den Servière-Mädchen, zu Gunda und der Sophie: Die Günderrode wolle ihr Jünger werden in Unbedeutendheit. Sie hätten sich die Hand darauf gegeben. Es sei ein Geheimnis zwischen ihnen, und mehr sage
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