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Kein Ort - Nirgends

Kein Ort - Nirgends

Titel: Kein Ort - Nirgends Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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sie nicht.
    Da fängt man an, die Bettine zu schelten. Sie werde es fertigbringen, die Günderrode zu hindern an ihrer systematischen Beschäftigung mit den Wissenschaften, anstatt daß sie, Bettine, sich einer regelrechteren Ausbildung ihres Geistes endlich anbequeme. Die Bettine schneidet eine Grimasse, wehrt sich kaum. Die Günderrode hängt dem Wort noch immer nach. Wie es eindringt in ihre heimlichen Phantasien von Bedeutendheit, die sie sich selbst kaum eingesteht. Wie es ihr hilft, das Gespinst zu zerreißen, das sie vor sich selber verbirgt. Sie wird ihre neuen Gedichte und dramatischen Versuche unter einem andern Namen herausgeben, wird dem Hang folgen, unkenntlich zu sein. Zu deutlich spürt sie, wie die Erwartung des Publikums ihr die Unbefangenheit nimmt. Wie vieles dagegen leicht und natürlich wird, um wieviel näher sie den Menschen kommt, wenn sie nicht bedeutend sein will.
    Der Nachmittag hat ihr gegeben, was in ihm war. Sie möchte fort.
    Kleist kennt diese Zirkel, die nur zusammentreten, daß ihre Mitglieder sich in ihren Ansichten bestätigen. Über die Ausbildung der Frauen hat er eine feste, wie er glaubt, gegründete Ansicht, und er hat Gelegenheit gehabt, sie an seinen Schwestern und an den Frauenzimmern im Zengeschen Hause zu erproben. Wollust desLehrens, er hat sie ausgekostet: Darf der Mensch wohl alles tun, was recht ist, oder muß er sich damit begnügen, daß nur alles recht ist, was er tut?
    Eine Denkaufgabe. Gütiger Himmel! Hat er damals nicht doch ein heimliches Kichern hinter seinem Rük- ken überhört?
    Was jetzt? Wahrhaftig, Clemens Brentano schickt sich an, ein Gedicht zu verlesen, und die Günderrode, auf deren Kosten es geht, kann ihn nicht davon abbringen. Der Mann will ihre eignen Verse als Beweisstück gegen sie verwenden. Er ruft die Gesellschaft zum Zeugen, daß die Dichterin Tian sich selbst der Unbeständigkeit überführt hat.
    Ein Zwiegespräch in poetischer Form, die meisten hier scheinen es zu kennen. Eine Person mit Namen Violetta wirft einer andern, beziehungsvoll Narziß genannt, ihre Treulosigkeit in der Liebe vor; darauf Narziß:
    Mir ist nicht Treue, was ihr also nennet,
    Mir ist nicht treulos, was euch treulos ist!
    Wer den Moment des höchsten Lebens teilet,
    Vergessend nicht, in Liebe selig weilet,
    Beurteilt noch, und noch berechnet, mißt,
    Den nenn’ ich treulos, ihm ist nicht zu trauen,
    Sein kalt Bewußtsein wird dich klar durchschauen
    Und deines Selbstvergessens Richter sein.
    Doch ich bin treu! Erfüllt vom Gegenstande,
    Dem ich mich gebe in der Liebe Bande,
    Wird alles, wird mein ganzes Wesen sein.
    Die Vorlesung kehrt sich gegen ihn, Clemens spürt es selbst. Die Stille hat sich verändert. Kleist ist hellwach.Daß sie es wagt, daß sie sich den Leuten in die Hände gibt. Die Frau muß toll sein. Im Zorn ist sie auch schön. Clemens, sagt die Günderrode, gegen die stumpfen Rezensenten kann ich nichts machen. Aber was mach ich gegen den Freund, der mir absichtlich weh tut.
    Clemens, blutrot, bittet sie um Verzeihung, endlich unverstellt er selbst. Der Vorfall scheint beigelegt. Kleist ist noch nie unter Menschen gewesen, die ihre Grenzen gegeneinander so weit überschreiten und sich doch nicht verfeinden. Ein Widerschein der Hoffnung, gewisse Träume seiner Jünglingsjahre, deren er sich heute schämt, könnten wahr werden: Zutrauen kein Unding, Liebe kein Phantom. Doch er will nicht weich werden. Der Günderrode, die zufällig neben ihm steht, sagt er, er finde es bedeutsam, daß sie der letzten Zeile ihres Gedichts die Zukunftsform gegeben hat. Ja, sagt sie, es ist wahr. Mir ist es selbst eben erst aufgefallen.
    Als Clemens las, hatte die Günderrode die Empfindung, die sie von einem Gang am Rande eines Moores kennt, da sie auf Schwingrasen geriet. Plötzlich gab der Boden unter ihr nach wie ein nicht straff gespanntes Trommelfell. Heftige Freude und heftiger Schrekken, ineinandergemischt. Die Freunde, in Panik, zogen sie auf festen Boden zurück, sie nannten sie leichtsinnig, und sie schwieg dazu. Leichtsinnig nicht, aber neugierig, ja, das ist sie allerdings, neugierig auf den Moment, da der Boden unter den Füßen nicht mehr trägt. Es ist eine Gier jener verbohrten, heillosen Art, die uns mit Recht verboten ist, so daß die andern zehn Verbote davor verblassen. Vater und Mutter töten: böse, doch sühnbar. Sich selbst vernichten: Unnatur. Sie hat gegenihr Gewissen anzuarbeiten. Der Widerstand wird stärker.
    Wenn wir Ruhe

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