Kein Schatten ohne Licht
müssen, doch du bist viel zu stur, um zu sterben, wenn du nicht damit einverstanden bist. Aber Mel... genau das ist es, was mich so verwirrt. Ein Leben als Dämon ist das Letzte, was man wollen sollte.“
Melica wusste nicht so ganz, ob sie lachen oder weinen sollte. Letztendlich entschied sie sich für keine dieser Möglichkeiten. Stattdessen verzog sie gequält das Gesicht. „Meinst du damit wirklich, dass ich mich selbst hätte umbringen sollen?“
„ Ich hätte es getan.“
Jetzt war der richtige Zeitpunkt gekommen, um zu lachen. Allerdings fiel es wohl recht kläglich aus, denn sie spürte deutlich, dass Liv zusammenfuhr. „Was?“, fragte ihre große Schwester verständnislos.
„ Natürlich hättest du das getan! Doch im Gegensatz zu dir bin ich nicht perfekt! Bin es nie gewesen! Im Gegensatz zu dir kann ich auch mit meinen Schwächen leben.“
„ Und das tust du, indem du dich von allen anderen zurückziehst, niemanden mehr an dich heranlässt und dich als Sündenbock der ganzen Welt abstempelst?“
„ Woher-“, Melica brach ab.
Liv antwortete nach einigen Sekunden leise: „Mutter hat mir erzählt, was geschehen ist. Nun, sie es getan, nachdem sie mich fürchterlich angeschrien hat, weil Vater und ich sie nie in unsere Arbeit eingeweiht haben.“
Die Tür schwang erneut auf, langsamer und vorsichtiger diesmal, sodass Melica die Möglichkeit hatte, zurückzuweichen.
„ Deine fünf Minuten sind um, Melica. Länger kann ich Gregor unmöglich hinhalten“, erklärte Isak entschuldigend. „Beeil dich. Bitte.“
Melica hob den Kopf. Nun, wo das Sonnenlicht durch die weit geöffnete Tür drang, konnte sie erstmals einen Blick auf ihre sechs Jahre ältere Schwester erhaschen. Liv sah so makellos, so unschuldig aus wie immer. In ihrer Unbekümmertheit war sie ein perfektes Gegenbild zu Melica selbst. Welch eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet sie, die Jüngere von ihnen beiden, mit der Zeit immer verbitterter und grausamer wurde, während Liv ihr Leben genießen konnte.
„ Kümmerst du dich um Paula? Sie darf nicht erfahren, dass ich hier bin.“
„ Natürlich.“ Liv zögerte keine Sekunde, lächelte liebevoll.
Melicas Antwort darauf war ein dankbares Nicken. Dann verließ sie die Abstellkammer, schritt dicht neben Isak her, um auch die letzten Meter in Richtung Küche hinter sich zu lassen.
„ Achja. Mel?“ Liv sprach gerade laut genug, damit Melica sie noch hören konnte. „Alles Liebe zum Geburtstag, meine Kleine.“
Die Schattenkriegerin schloss die Augen, atmete tief durch. Sie konnte Isaks überraschten Blick nahezu körperlich spüren. „Frag gar nicht erst, Isak.“
„ Du hast heute Geburtstag?“
„ Nein. Du hast heute Geburtstag!“, erwiderte Melica patzig. Dann hatten sie die Küchentür erreicht. Melica zögerte keine Sekunde. Und nur die wenigsten Dämonen hätten bemerkt, dass ihre Hand zitterte, als sie die Tür aufstieß.
Ihre Mutter wiederzusehen, war für Melica wie Winter und Sommer zugleich. Winter, weil sie sich noch nie ehrlich gemocht hatten und die Kälte ihrer Mutter noch immer jeden von Melicas positiven Gedanken in Sekundenschnelle zum Erfrieren brachte. Sommer, weil es trotz dessen ihre Mutter war, die dort saß, die Frau, die sie ihr ganzes Leben lang begleitet hatte, die einfach immer dagewesen war und ihr deshalb ebenso vertraut erschien wie das wärmende Glühen der Sonne.
Jane starrte sie kühl an, sodass Melicas Blick langsam weiterwanderte, über Gregor, Renate und Yvonne hinwegglitt und schließlich bei dem Mann zum Erliegen kam, der mit gefesselten Händen und einem trotzigen Gesichtsausdruck auf einem der teuren Küchenstühle hockte. Melica hatte ihn noch nie gesehen, da war sie sich ganz sicher. An jemanden wie ihn hätte sie sich erinnert.
„ Erfreulich, dass Sie sich auch endlich zu uns gesellen“, begrüßte Gregor sie mit einem Lächeln.
Ein so schlecht versteckter Vorwurf verdiente einfach keine Antwort. Selbst ein Augenrollen war zu gut dafür.
„ Gregor? Was ist hier los? Warum sind wir hier? Und wer ist dieser Mann dort?“ Verwirrung kämpfte sich ihren Weg durch Melicas Körper, als Isaks Stimme an ihr Ohr drang. Er klang unvorstellbar nervös. Noch nie hatte sie ihn so aufgelöst erlebt, noch nie eine solche Aufgewühltheit in seiner Stimme vernommen.
Gregor schien ebenfalls verwundert zu sein. Für den Bruchteil eines Augenblicks huschte so etwas wie Argwohn über sein Gesicht. Dann aber blickte er wieder ganz
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