Kein Tod wie der andere
das Zoé und damit vielleicht auch sie und ihre Kinder in Gefahr sein könnten.
»Wir werden sehen, ob noch jemand von den anderen da ist. Die nächste Besprechung ist zwar für morgen angesetzt, aber wie ich meine Leute kenne, werden sie noch nicht nach Hause gegangen sein, wenn sie etwas zu berichten haben.«
»Wann willst du Marie Steyn vom Leichenfund unterrichten?«
Sie waren mittlerweile bis zur letzten Kurve gerollt und standen in einer ihrer letzten Rotphasen an diesem Tag. Buhle schaute zu Ducard und fühlte sich regelrecht ertappt. »Wir müssen ihr unbedingt Bescheid sagen, noch heute Abend am besten. Ich werde sie vom Büro aus anrufen.«
»Wäre es nicht besser, direkt vorbeizufahren?«
Natürlich war das besser. Aber nach dem jüngsten Zusammentreffen war ihm nicht wohl bei dem Gedanken. Außerdem wusste er, wie heftig Marie reagieren konnte, gerade wenn ihrer Familie Ungemach drohte.
»Wir könnten jetzt direkt hinfahren, bevor es noch später wird und sie vielleicht schon schlafen gegangen ist«, schlug Ducard vor. »Die Kollegen können warten oder nach Hause gehen und morgen berichten.«
Buhle hoffte, dass ihm die Erleichterung nicht zu sehr ins Gesicht geschrieben stand. »Ja, das ist wohl besser. Wenn du noch so lange Zeit hast?«
Ducard nickte, und hinter ihnen setzte das Hupen der nachstehenden Autofahrer ein, die Buhle dazu bewegen wollten, die vor ihm entstandene Lücke wieder zu schließen.
Als sie die Stadt durchquert und das Avelertal hinaufgefahren waren, hatte die Abenddämmerung voll eingesetzt. Der Himmel über Avelsbach zeigte alle Übergänge von Blau über Orange zu Rot. Buhle ließ seinen Blick über den Unicampus und den Weidengraben mit seinen Hochhäusern bis zu den Eifelhochflächen jenseits des Moseltals schweifen. Seit den siebziger Jahren war die Tarforster Höhe kontinuierlich zugebaut worden – angefangen mit dem neuen Stadtteil und seinen vielgeschossigen Bausünden über die neue Universität mit den umgebenden Neubaugebieten bis hin zu dem Gelände der ehemaligen Landesgartenschau, das seit einigen Jahren immer enger und mondäner wurde. Von hier oben, dem roten Dorf, wie die frühere Arbeitersiedlung der Weinbaudomäne Avelsbach wegen der ehemals roten Ziegeldächer genannt wurde, musste diese Entwicklung gut zu verfolgen gewesen sein.
Buhle hatte das Auto direkt vorn an der Einfahrt von Marie Steyn geparkt. Nachdem er etwas zögerlich ausgestiegen war, hatte er kurz verweilt und durch die Lücken zwischen den Bäumen in dem weitläufigen Garten nach Westen geschaut.
»Das ist sehr idyllisch hier. Aber ich glaube, mir wäre es zu eng. Wie viele Menschen leben hier?« Ducard war auch stehen geblieben und hatte den Blick auf den Sonnenuntergang genossen.
»Ich weiß es nicht. Es sind zehn Doppelhäuser und das Haus der Familie Steyn. Außer bei ihr habe ich nicht viele Kinder gesehen. Also werden die Wohnungen zumeist nur von zwei Leuten bewohnt sein. Vielleicht fünfzig, sechzig Einwohner, schätze ich.«
Ducard schaute sich noch einmal um. »Das Haus der Steyns liegt mitten zwischen den anderen Häusern. Es ist nicht leicht, es unerkannt zu beobachten.«
»Das ist richtig. Da, wo unsere Leute sich postiert haben, hat man zwar den besten Blick auf das Haus, aber man steht auch regelrecht auf dem Präsentierteller.« Buhle stockte. Dann würde Marie sicher auch schon wissen, dass ihr Haus von der Polizei beobachtet wurde, sei es, weil es ihr selbst aufgefallen war, oder weil einer der Nachbarn sie darauf angesprochen hatte. Der Mord in Maries Haus vor einem halben Jahr ließ in Avelsbach sicher alle Antennen hochfahren, wenn etwas Ungewöhnliches bemerkt wurde.
Buhle war es gar nicht wohl, als er mit Ducard vor Maries Tür stand. Er klingelte nur ganz kurz, weil er nicht wusste, ob zu dieser Uhrzeit die Kinder schon schlafen würden. Es dauerte, bis sie sich an der Haussprechanlage meldete.
»Hallo Marie, ich bin’s, Christian. Habe ich dich geweckt?«
»Allerdings.« Maries Stimme war nicht freundlicher geworden, nachdem sie wusste, wer sie aus dem Schlaf geholt hatte. »Was willst du?«
»Wir müssen dir etwas Wichtiges mitteilen. Würdest du uns bitte reinlassen.«
»Wen hast du denn noch dabei?«
»Henri Ducard. Einen Kollegen aus Luxemburg.«
»Ich weiß sehr wohl noch, wer Henri Ducard ist. Wenn’s sein muss, kommt halt hoch.«
Der Türsummer ertönte, und Buhle drückte die schwere Holztür auf. Von dem kleinen Eingangsbereich führte das
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