Kein Wort mehr ueber Liebe
nichts als hohe Beamte die ihm fünf Jahre zuvor den Eid geleistet haben ah das sieht nicht schön aus das ist hässlich aber nochmals
dura lex
und Pétain wird zum Tode verurteilt und dann wird Pétain begnadigt
und die zwei Polizisten werden Sie mir sagen ach ja die zwei Polizisten die sitzen immer noch im Kommissariat der eine der kleinere ist sogar befördert worden guten Tag Herr Brigadier grüßen wir nicht mehr?
und der Autobus der Autobus der Linie S der Autobus derLinie SS der ist zum Depot zurückgekehrt man repariert ihn ein bisschen denn er qualmt Ha! Qualm Ha! na klar
Und die Concierge die Concierge ist immer noch im Treppenhaus ja
ja aber im vierten Stock links da wohnen jetzt die Lamberts na ja die Wohnung war ja leer nicht wahr
Man muss das verstehen die Lamberts wohnen jetzt seit 1943 im vierten Stock
Wasser und Gas auf allen Etagen
Ja man weiß wo sie alle sind
die Busse die Concierge die Polizisten aber sagen Sie mir
wo sind die Blums
wo sind sie
Sag mir wo die Blumen sind?
Sag mir wo die Blumen sind?
Louise schrie fast und ihre Stimme kippt, sie schweigt, sie bleibt stehen. Die Stille ist total, und das Knarren der Stühle macht sie noch greifbarer.
Louise könnte vom Podium heruntersteigen. Aber das ist noch nicht das Ende. Sie geht so nah wie möglich ans Mikrofon heran, und dieses Lied von Marlene Dietrich, das ihre Mutter ihr auf Deutsch vor vorsang, als sie noch ein Kind war, um sie in den Schlaf zu wiegen, das singt sie nun, ganz leise und ohne Akzent:
Sag mir, wo die Blumen sind
Wo sind sie geblieben?
Sag mir, wo die Blumen sind
Was ist gescheh’n?
Zunächst ist ihre Stimme fast nur ein Gemurmel. Aber mit jedem Vers wird sie lauter, erhebt sich, füllt die kompakte Luft, schallt von den Deckengewölben herunter. Louise singt, ihr Timbre zittert kaum merklich, nur ganz leicht.
Sag mir, wo die Blumen sind
Mädchen pflückten sie geschwind
Wann wird man je versteh’n?
Wann wird man je versteh’n?
Louise holt Luft, ihr Atem hallt durchs Mikrofon wider, die Zeit steht einen Moment still, ein paar Sekunden nur. Instinktiv geht sie für den folgenden Vers eine Terz höher, so wie es ihre Mutter auch tat, so wie es Marlene tat:
Sag mir, wo die Mädchen sind
Wo sind sie geblieben?
Sag mir, wo die Mädchen sind
Was ist gescheh’n?
Zuerst hat sich niemand getraut, sich ihr anzuschließen. Aber eine Stimme erhebt sich, leise, eine Männerstimme, die nur die Melodie summt, dann eine andere, noch eine, es werden immer mehr. Es ist ein Summen, ein Raunen, dass sie begleitet.
Sag mir, wo die Mädchen sind
Männer nahmen sie geschwind
Wann wird man je versteh’n?
Wann wird man je versteh’n?
Sag mir, wo die Männer sind
Wo sind sie geblieben?
Sag mir, wo die Männer sind
Was ist gescheh’n?
Sag mir, wo die Männer sind
Zogen fort, der Krieg beginnt
Wann wird man je versteh’n?
Wann wird man je versteh’n?
Louise verstummt und mit ihr alle anderen Stimmen. Die Stille kehrt zurück, sie ist zum Greifen dicht. Im Saal drückt eine Frau ein Taschentuch an ihre Augenlider, aber zu spät, eine Träne läuft über ihre Wange. Es ist nicht Louises Mutter. Louise steigt vom Podium herab, ohne Hast, ohne die vernichtenden Fragen der Schöffen abzuwarten, wie es der Usus will. Es hätte auch keine gegeben, derart sind sie überwältigt, verblüfft, und der Präsident – der als Ehrengast geladene Schriftsteller – schaut verwirrt auf diese zarte blonde Frau, die, trockenen Auges, schon wieder lächelnd, aus ihrem Traum auftaucht und auf ihre Freunde zugeht.
Ein junger Mann steht unter lautem Stuhlgepolter auf, oder vielmehr, er klappt sich auf, so groß ist er, und beginnt zu applaudieren, als Erster, bevor die anderen sich anschließen. Einige rufen »Bravo«, er ruft »Danke, danke«. Der junge Mann heißt Romain, Romain Vidal. Er kennt Louise noch nicht, zum ersten Mal wird er ihr erst sehr viel später rein zufällig begegnen. Er war in den Justizpalast gekommen, um einem Wortgefecht der Rechtsanwälte beizuwohnen, um sich zu amüsieren. Er weiß es noch nicht, aber er applaudiert seiner Frau.
Was Louise betrifft, so ist an ihr nur der Name jüdisch. Ihr Großvater väterlicherseits, Robert Blum, von der Kultur her zwar Jude, aber nicht sehr religiös, hat eine hübsche Bretonin geheiratet, Françoise Le Guérec. Louises charmante, aber bigotte Großmutter hat ihre beiden Söhne im christlichen Glauben erzogen: umsonst, denn Augustin Blum, der daran
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