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Kein Wort mehr ueber Liebe

Kein Wort mehr ueber Liebe

Titel: Kein Wort mehr ueber Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herve Le Tellier
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Seite heraus, faltet sie und reicht sie ihr. Sie liest, nimmt das Heft, schreibt ebenfalls etwas auf, reißt auch die Seite heraus, faltet sie und reicht sie ihm. Sie tauschen auf diese Weise fünf, sechs Seiten, mehr nicht, von denen der Zuschauer nichts erfährt. Plötzlich holt Léaud einen Flaschenöffner aus der Tischschublade, und durch die ovale Öffnung, mit der man normalerweise die Kronkorken von den Flaschen hebt, schiebt er den Finger der jungen Frau, ganz so, als ob er ihr einen Ring ansteckte. Das ist einer der schönsten Heiratsanträge des Kinos. Erinnerst Du Dich andiese Szene? Findest Du nicht, dass sie das Wunder der Mails vorwegnimmt?«
    Er klickt. Der Windhauch. Der alte Angsthase, der in ihm schlummert, bedauert plötzlich diese Geste. Einige Minuten später bekommt er Louises Antwort:
    »Was Truffaut betrifft, ja, ich erinnere mich an die Szene. Berührt mich nicht, bin verheiratet.«
    Berührt mich nicht, bin verheiratet. Thomas liest den Satz erneut, irgendetwas daran macht ihn stutzig. Plötzlich springt ihm die Doppeldeutigkeit von »berührt mich nicht« in die Augen. Der Psychoanalytiker lacht lauthals auf.

LOUISE
    Jacques Chirac hat soeben die Nachfolge von François Mitterrand als Präsident der Republik angetreten, die UNO hat ihre Resolution 986, auch »Öl gegen Nahrungsmittel« genannt, verabschiedet, und die Rechtsanwältin Louise Blum ist vor kurzem fünfundzwanzig Jahre alt geworden. Die hochgewachsene junge Frau fürchtet nichts und niemanden, und ganz gewiss nicht die Aussicht, vor ihren Kollegen in dieser völlig absurd formulierten Causa »Warum ist die Concierge im Treppenhaus« plädieren zu müssen.
    Hinter dem Namen »Conférence Berryer« verbirgt sich der Eloquenz-Wettbewerb der Pariser Anwaltskammer. Vor einer Art Operettenpräsident des Gerichtshofs, der stets ein Ehrengast ist – an diesem Abend ist es ein Schriftsteller –, und vor beinharten und unerbittlichen Schöffen müssen die jungen Anwälte eine humorvolle und virtuose Glanznummer abliefern. Die Übung ist ein Drahtseilakt, die Zuschauerplätze sind begehrt, und rar sind die Auserwählten. Louise gehört dazu: Vor einer halben Stunde hat sie per Los ihr Thema gezogen; schnell hat sie eine Gliederung konzipiert, logische Zusammenhänge geknüpft, einige Zitate notiert, die sie im Laufe der improvisierten Rede einfließen lassen wird. Denzwölf Schöffen, die nur auf einen Schnitzer warten, muss man die Aufgabe erschweren: Louise will mit einer eher ernsten Bemerkung enden – das ist hier der Brauch – und dieses weiträumige Gebäude ansprechen, das wir das Leben nennen. Da der Gast die Schriftstellerei als Beruf betreibt, zitiert sie Georges Perec, spielt auf das Gebäude in
Das Leben Gebrauchsanweisung
an, konstruiert eine elegante Parallele zwischen der Treppe, die die Stockwerke verbindet, und dem Gesetz, diesem gemeinsamen Haus, das alle Menschen teilen, schafft eine Verbindung zwischen den häuslichen und bürgerlichen Regeln, zwischen der Haushüterin und dem Gesetzeshüter.
    Aber zuerst muss man die Zuhörer zum Lachen bringen. Darin ist sie geübt:
    – Herr Präsident, sehr verehrte Damen und Herren Mitglieder der Jury, ich vermute, dass ein solches Thema von den Herren Schöffen stammt, die ja allgemein für ihren Treppenwitz bekannt sind. Flache Witze werde ich vermeiden: Mein Vater, meine Mutter und meine Schwester sitzen im Saal. Jawohl, Herr Präsident, wie die Concierges so treffend sagen, ich habe die Verbindung nicht gekappt. Auf keinen Fall werde ich Bernard Tapie aufs Tapet bringen, ich habe, mit den Concierges, andere Teppiche zu klopfen. Auch auf Schüttelreime werde ich verzichten, obwohl der Beruf der Concierge – mal ist’s hier der Scheibenkleister, der sich löst, mal sind’s da die Blusen des Böhmen, die unerlaubt am Fenster hängen, und bei allem Streit im Haus ist’s stets eine böse Mitte, die man von ihr in ihrer Stellung erwartet – sich dafür geradezu anbietet.
    Sie streicht die schlechten Wortspiele heraus, reiht eineverbale Pirouette an die nächste, das Publikum applaudiert, stampft mit den Füßen, pfeift. Louises Freunde stoßen sich mit dem Ellbogen in die Seite: Das fängt gut an, sie ist in Form.
    Und richtig: Louise hält so gut drei Minuten durch. Um Luft zu holen, um Zeit zu gewinnen, greift sie auf einen Taschenspielertrick zurück. Sie wiederholt das Thema:
    – Ja, meine Damen und Herren Mitglieder der Jury, warum ist die Concierge im

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