Kein Wort mehr ueber Liebe
mittels einer Kerze hat er die Brandspuren der austretenden Gase auf den Düsen nachgebildet.
– Meiner Frau gehe ich damit auf den Wecker, aber die Gören sind begeistert.
Yves lässt ihn reden. Diese Taktik, das weiß Yves aus Erfahrung, geht immer auf: Der Amateur, der auf einen Spezialisten trifft, will vor allem seine Kenntnisse zeigen, anerkannt werden, als guter Schüler dastehen. Yves weiß instinktiv, dass der Mann viel mehr Ahnung von der Sache hat als er. Aus Vorsicht bringt Yves die Unterhaltung also auf ein Thema, das er beherrscht, und gaukelt eine bevorstehende Ausstellung vor: das Leben des Wernher von Braun, dieses Naziwissenschaftlers, der die NASA bei ihrer Eroberung des Weltraums dirigierte. Er kommt auf das Unternehmen
»
Paperclip« zu sprechen, bei dem die CIA für die Bedürfnisse des Kalten Krieges Kriegsverbrecher außer Landes schmuggelte, er spricht vom KZ Mittelbau-Dora, dessen eifriger Sturmbannführervon Braun war. Yves gerät niemals ins Stocken. Ohne zu zögern erfindet er die Namen der Mitarbeiter dieses »Drecksacks von Braun«: Gustav Jung, Friedrich Hofmannsthal. Wenn auch die Familiennamen falsch und aus völlig anderen Welten übernommen sind, so sind doch alle Anekdoten, die Yves erzählt, wahr: Das ist die Eleganz des Lügners. Locker hält er so zehn Minuten durch. Yves freut sich, dass er kurze, glatte Haare hat, der Friseur ist schon fertig mit dem Schnitt.
– Ich könnte Sie ja vielleicht mal im Museum besuchen?, fragt der Abonnent von
Raum und Kosmos.
Yves ist verlegen, verwirrt, wie jedes Mal, wenn er den Roman verlassen und wirklich betrügen muss. Einen so charmanten Menschen zu hintergehen, das verdirbt das Vergnügen, das er gerade noch daran fand, sich eine neue Existenz auszudenken. Er findet eine Ausrede.
Yves ist nicht mythoman. Er bedauert lediglich, dass in seiner Jugend keine seiner Passionen all die anderen verdrängen konnte, um ihn ganz zu erfüllen. Er ist weder Biologe noch Theologe, weder Astronom noch Historiker geworden. Yves ist Schriftsteller. Und wenn er schamlos drauflosfabuliert, dann auch, weil jedes Mal, wenn er einem Unbekannten gegenüber seinen Beruf nennt, die neugierige Frage »Und was haben Sie geschrieben?« kommt, unvermeidlich gefolgt von dem ewigen »Tut mir leid, das habe ich nicht gelesen«.
Schriftsteller. Lange hat er gezögert, sich so zu definieren, aber er lebt in den Worten und schließlich auch von ihnen, nicht so bequem wie er es gerne hätte, aber viel besser als er vermutet hätte. Seine Verleger versichern ihm: »Du hast Leser, aber du hast noch nicht dein wahres Publikum gefunden.«Yves zweifelt, ob er von der Art ist, ein wahres Publikum zu haben.
Yves ist Schriftsteller, weil er sich für Ausdrücke wie »unendliche Zärtlichkeit«, »mit Blicken töten« oder »hoffnungslos verliebt« schämen würde. Hin und wieder unterläuft ihm ein »bleierner Schlaf«, »durchs Leben schreiten« oder »eilig hingekritzelt«. Er ist untröstlich, wenn ihm ein solches Klischee erst nach der Veröffentlichung auffällt. Oft setzt er auch unnötige Kommas, die er anschließend umso unbarmherziger wieder ausmerzt. Er hat zu viel gelesen, um nicht zu wissen, dass gut schreiben schlecht schreiben heißt, wie mal jemand gesagt hat. Gerne hätte er, dass jeder Satz ihm entgleite, ihn überrasche, dass diese Überraschung niemals einen faden Geschmack annehme. Er liest seine Texte immer wieder, gerät außer sich, wenn er dabei seine Schreibticks entdeckt. Also streicht er die verführerische Tonlage wieder aus, die elegante Redewendung, spürt literarischen Pleonasmen nach, zerstört den trägen Rhythmus, dem er unbewusst folgt. Manchmal bleibt außer einem simplen Skelett nichts vom ersten Entwurf übrig. Um den Kern des Lebens zu erfassen, entfernte Giacometti endlos den Lehm vom Eisendrahtgeflecht. Die Sprache, die Yves walzt und knetet, ist sein Feind, sie erscheint ihm zu exotisch und zu intim. Seine Worte versuchen, die Wirklichkeit zu bemalen, so wie die Steinplatten im Hof die gestampfte Erde bedecken: Aber hier und da schafft ein widerspenstiges Gras den Durchbruch. Er könnte endlos ausstreichen, neu anfangen. Er sucht das Wunder, die absolute Grazie, und spürt sie doch nur bei den anderen. Er weiß nicht, ob die Unzufriedenheit der Beweis für Künstlertum ist.
Sein kurzes Zusammentreffen mit Anna Stein wollte er noch am selben Abend aufschreiben. Es war doch ganz einfach: Eine junge Frau auf einer Abendeinladung, bei
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