Kein Wort mehr ueber Liebe
Schlagabtausch würde er Anzeige erstatten.
Der Schlag kommt nicht. Genauso wenig wie die harmlose, aber feinsinnige Widmung, die dem außergewöhnlichen Anlass entsprechen würde. Yves schreibt nur den oft zitierten Satz, den er der Diotima aus Platons
Gastmahl
entlehnt und den Lacan verändert und sich zu eigen gemacht hat:
»… eine Geschichte, die von Liebe handelt, dieser Sache, die man gibt, ohne sie zu besitzen.
Yves Janvier«
Er hält ihm das Buch hin, Stanislas wirft einen kurzen Blick auf die Widmung. Das ist nicht der Mann, den Yves sich vorgestellt hatte. Anna hatte ihn ganz entschieden so beschrieben, wie ein Kind seinen Vater beschreibt, indem es alle Maße überschätzt. Stan war »sehr groß«: Yves hatte lächeln müssen, als er seine wahre Größe erfuhr. Er war genauso groß. Stan nimmt sich einen Stuhl, setzt sich neben ihn:
– Ich habe gerade eines Ihrer Bücher gelesen.
Fortsetzung folgt
, so heißt es doch?
Seine Stimme ist ernst, Yves findet sie melodisch.
– Ja, das ist ein kurzer Roman, ziemlich alt.
– Sie haben einen, wie soll ich sagen, sehr flüssigen Stil.
Yves hat
Fortsetzung folgt
vor fünfzehn Jahren veröffentlicht.Die Geschichte eines Müßiggängers, der aus Neugierde eine Frau auf der Straße verfolgt. Jeden Tag macht er sich den Spaß, hinter ihr herzugehen, sie zu beobachten. Das Buch basiert zunächst auf den Notizen, die er sich macht. Er spioniert sie aus, während sie Einkäufe macht, mit ihren Kindern oder ihrem Mann spazieren geht. Wochen vergehen. Nach und nach verliebt er sich unsterblich in sie. Er beschließt, sie zu verführen; er ist charmant, er ist intelligent, es gelingt ihm, und als die Frau allen Widerstand aufgegeben hat und sich in ihn verliebt, sich unwiderruflich von ihrem Mann trennt, bekommt er es plötzlich mit der Angst zu tun, er verlässt sie und verschwindet. Er hat das Leben dieser Frau zerstört.
Worauf Stan hinauswill, ist kristallklar:
– Das ist kein Porträt einer Frau, auch wenn er sie ohne Unterlass beschreibt. Man erkennt einen Mann an der Art und Weise, wie er eine Frau anschaut. Wie heißt er noch?
– Kostas. Und Camille ist die Frau, antwortet Yves.
– Richtig, Kostas. Camille hat einen Mann, Kinder, sie ist glücklich. Je länger Kostas ihr beim Leben zuschaut, desto klarer wird ihm, wie alleine er ist. Er verliebt sich in ihr Glück. Aber er liebt sie nicht wirklich.
– Ich weiß nicht. Ich denke doch.
– Nein, begehren heißt nicht lieben, Monsieur Janvier. Er ermisst nicht die Konsequenzen seines Handelns für das Leben dieser Frau, ihrer Kinder. Das interessiert ihn nicht, er denkt egoistisch. Es ist das Porträt eines Schweinehundes.
– Wieso eines Schweinehundes?
– Kostas hätte jedes Recht, wenn er sicher wüsste, was er wirklich will. Aber das weiß er nicht, er zweifelt, schwimmt,nur das weiß er. Sich des eigenen Begehrens gewiss zu sein, das ist doch wohl das Mindeste, was man von sich selbst verlangen muss, wenn man sich daranmacht, ein Paar zu zerstören, einer Frau Leid zuzufügen, und auch ihren Kindern. Finden Sie das nicht?
– Ja. Vielleicht. Kostas ist ein Schweinehund wider Willen.
Stan öffnet die Faust und schließt sie wieder, seine Fingergelenke werden ganz weiß.
– Ein Schweinehund wider Willen bleibt ein Schweinehund, mehr nicht. Camille ist fragil, mit ihrem Dasein unzufrieden. Dabei hat sie ein angenehmes Leben. Vielleicht ist es zu angenehm. Tief in ihrem Innern trägt Camille schwer an einer Art Melancholie, ihr Mann hilft ihr mit großem Zartgefühl, diese Melancholie zu ertragen. Als Kostas auftaucht, hofft sie, jetzt endlich zu leben. Kostas spürt, dass sie verletzlich ist, er ahnt, dass sie ihn auch deshalb liebt, weil er das Unvorhergesehene verkörpert, das so sehr ersehnte Abenteuer, aber er nutzt diesen Traum aus, um sie an sich zu binden. Das ist eine weibliche Passion, Emma trifft Rodolphe. Im Grunde sehr klassisch. Aber Sie haben zu viel Verständnis für Kostas. Sie übernehmen seinen Standpunkt. Dabei wären mehrere Romane zu schreiben, der von Camille, der des Ehemanns, der der Kinder. Diese Romane hätten Sie schreiben sollen.
– Das sind tragische Romane. Ich …
– Aber wie auch immer, vielleicht schreibt man nicht zweimal
Madame Bovary
.
In Stans Stimme liegt Trauer, aber noch mehr Wut. Immer noch reibt er mit der Faust über seinen Handballen, doch scheint ihn das Reden beruhigt zu haben. Die Buchhandlungleert sich nach und nach, der Buchhändler
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