Kein Wort mehr ueber Liebe
misogynenSatz zu lesen zu geben: »Die Frau, die stets von einem machtvollen Realitätssinn geprägt ist, kann einen Mann nur seiner Kraft und seines Prestiges wegen lieben«:
– Bitte schön. Willst du diesem Schweinehund von Drieu unbedingt Recht geben?
– Aber genau das ist es, hatte Anna versetzt. Du bist unmöglich, schau dich doch an: Du hast ein Ticket für die erste Klasse in der Tasche, aber du fährst lieber in der zweiten oder bleibst gleich auf dem Bahnsteig stehen.
– Ich mag die Leute in der ersten Klasse kein bisschen. Wenn du mich liebst, steigst du zu mir in die zweite Klasse.
Yves hasste es, die Metapher weiter ausreizen zu müssen. Sie erschien ihm nicht ungefährlich. Wenn das Leben ein Zug war, wer schmuggelte sich dann in die erste Klasse, wer kontrollierte die Fahrscheine? Das Bild grenzte ans Absurde, er wollte es nicht weiter ausmalen.
Und doch drängt Anna ihn, sich zu verändern. Wenn ihm der Erfolg so gleichgültig ist, was spricht dann dagegen, erfolgreich zu sein? Er ist sich nicht sicher, ob er der Typ dafür ist. Jedes Mal, wenn er bei seinem Gesprächspartner Bewunderung verspürt, gerät er in Verlegenheit. Er fühlt sich besudelt, würde sich am liebsten wie ein Hund nach dem Regen schütteln, um sich zu reinigen. Er fühlt sich wie ein Hochstapler. Die ganze Welt erscheint ihm voller Hochstapler.
Aber er hat wieder angefangen zu schreiben, und mit dem
Abchasischen Domino
geht es voran. Gewiss, Anna hat nicht Unrecht. Warum sollte die Anordnung eines Buches einer bizarren und längst von aller Welt vergessenen Domino-Partie gehorchen? Yves lächelt. Er bastelt weiter an seinem Gebäude, mit verdoppelter Hartnäckigkeit.
THOMAS UND ROMAIN
Für 17 Uhr hat Le Gall in seinen Terminkalender eingetragen: »Fabien Dalloz«, und exakt zu dieser Uhrzeit klingelt der neue, noch nie gesehene Patient. Thomas öffnet ihm und sagt in natürlichem Tonfall:
– Monsieur Fabien Dalloz? Thomas Le Gall. Bitte kommen Sie doch herein.
Der Mann gehorcht, und trotz seiner auffälligen Größe erkennt Thomas Romain Vidal erst, als dieser auf dem Sessel Platz genommen hat. Natürlich: Romain-Fabien, das liegt auf der Hand, und von Dalloz bis Vidal bleibt man auch bei den Wörterbüchern.
Thomas setzt sich an seinen Schreibtisch, ihm gegenüber sitzt Louises Ehemann. Einen Moment lang will er ihm geradeheraus sagen, dass seine List durchschaut ist, doch mit jeder Sekunde, die verfließt, wird die Sache komplizierter. Die vertraute Umgebung und auch die Überraschung führen schließlich dazu, dass er instinktiv die üblichen Worte ausspricht:
– Ich höre Ihnen zu.
Zunächst sagt Romain nichts. Nicht einen Moment lang zieht Thomas in Erwägung, dass es sich um einen Zufall handelnkönnte, dass Vidal in diesem Zimmer sitzt, weil er einen Analytiker konsultieren will: Louise hat mit ihm gesprochen, und Romain ist gekommen, um sich ein Bild von dem Mann zu machen, der ihm die Frau rauben will. Da er einen anderen Namen gewählt hat, glaubt er, alle Karten in der Hand zu haben. Aber früher oder später werden Le Gall und der echte Romain Vidal aufeinandertreffen, und wenn er die Praxis wieder verlässt, wird der falsche Fabien Dalloz nicht umhinkönnen, die Maske fallen zu lassen.
Es macht sich eine Stille breit, die Thomas respektiert. Er will Louises Ehemann nicht sofort zur Offenheit zwingen.
– Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Ich weiß nicht, womit ich anfangen soll, bricht es schließlich aus Romain heraus.
Fangen Sie ruhig mit dem Schluss an, möchte Thomas sagen. Wenn Sie sich das Leben als ein Buch vorstellen, sehen Sie niemals ein Ende.
Im Grunde könnte diese Unterhaltung, so seltsam sie auch erscheinen mag, gar nicht so weit von einer Analysesitzung entfernt sein. Ein Mann geht zu einem anderen mit einem Geheimnis, das nicht wirklich eines ist und das er am Ende wird preisgeben müssen. Ein Mann, der oftmals nicht spricht.
– Nun, sagt Fabien-Romain plötzlich. Um es zusammenzufassen: Ich bin verheiratet, wir haben Kinder, zwei, meine Frau hat einen Mann kennengelernt und mir verkündet, dass sie mich verlassen will. Ich bin sehr … unglücklich, aber ich glaube nicht, dass eine Analyse die Lösung ist. Das dauert Jahre, nicht wahr, und meine Frau geht jetzt, in diesem Moment.
Romain schweigt, Thomas öffnet ein Heft, schreibt ein paar Worte auf, um Haltung zu bewahren, dann hält es ihn nicht länger:
– Sie sind Romain Vidal, nicht wahr? Verzeihen Sie, aber
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