Kein Wort mehr ueber Liebe
macht Yves ein diskretes Zeichen.
– Haben Sie Kinder, Monsieur Janvier?, fährt Stan fort.
– Eine Tochter. Sie heißt Julie.
Stan schüttelt den Kopf.
– Anna und ich haben zwei, wissen Sie. Ich habe jede Seite von
Fortsetzung folgt
gelesen und mir dabei vorgestellt, dass ein Kostas Anna verfolgen könnte, sie kennenlernte, sie verführte. Ich war sehr traurig, als ich mir vorstellte, dass ein so unreifer, so wenig vertrauenswürdiger Mann kommen könnte, um das Leben meiner Anna zu zerstören und unserer Familie Leid zuzufügen, für nichts und wieder nichts, nur weil er sein eigenes Begehren nicht richtig ermessen hat.
– Ich verstehe.
– Ich weiß, dass Sie mich verstehen. In jeder Frau steckt ein bisschen Camille, und ein wenig Kostas in jedem Mann.
Stan schweigt für einen Moment. Yves dreht seinen Stift zwischen den Fingern hin und her. Er will nicht streiten; Stan berührt ihn, mehr noch, als er es sich vorgestellt hatte. Annas Wertschätzung und Zartgefühl für Stan haben schon seit langem eine seltsame Empathie in ihm entstehen lassen. Inzwischen weiß Yves, dass die Liebe für dieselbe Frau geheime Bande webt, die sogar jegliche Form von Eifersucht verbieten – was besonders auf den Liebhaber zutrifft.
– Ich bin sicher, dass ich heute nicht mehr dasselbe Buch schreiben würde.
– Glauben Sie? Man sagt doch im Gegenteil, dass man immer dasselbe Buch schreibt.
– Das ist nicht wahr. Bücher sind wie die Tage des Lebens. Sie folgen aufeinander, und man lernt von jedem einzelnen.
– Na dann … na dann, umso besser. Umso besser.
– Kostas will niemanden unglücklich machen.
Stan zuckt wütend mit den Schultern, steht auf. Yves ebenfalls.
– Das ist unmöglich, Monsieur Janvier. Leute wie Kostas sind nicht glücklich, sie können niemandem Glück schenken.
Yves wird es plötzlich kalt. Er zieht seinen Mantel über. Stan verbeugt sich, tritt einen Schritt zurück.
– Ich bin sehr glücklich, dass ich Sie kennenlernen durfte, Monsieur Janvier. Dass ich mit Ihnen über Kostas und Camille reden konnte. Ich hoffe, ich habe Sie nicht gelangweilt.
Yves schüttelt den Kopf. Stan geht fort, ohne ihm die Hand zu reichen. Bevor er die Buchhandlung verlässt, schlägt er das Buch auf, blättert darin. Er kommt zurück, wirkt sehr entschlossen, hat die Fäuste geballt. An seinem Blick erkennt Yves sofort, dass sie sich schlagen werden. Er stellt sich darauf ein. Im Grunde zieht er das der höflichen Auseinandersetzung vor, in der jeder den Unbeteiligten spielt. Aber Stan zeigt ihm lediglich die Widmung.
– Verzeihen Sie. Sie haben geschrieben: »Für Stanislas und Anna.«
– Ja?
– Ich heiße Ladislas, nicht Stanislas. Können Sie schreiben »Für Ladislas und Anna«?
Yves ist sprachlos. Er entschuldigt sich, greift nach einem anderen Exemplar, korrigiert seinen Irrtum. Ladislas entfernt sich zufrieden. Der Buchhändler lächelt dem Schriftsteller zu, ist beinahe bestürzt:
– Tut mir sehr leid, Yves. Ich hätte Sie warnen müssen. Ladislasist hier Stammkunde. Er ist – wie soll ich sagen – speziell. Vor einer Woche, als Delcourt signiert hat, ist er gekommen und hat ihm fast eine Stunde lang sein eigenes Buch erklärt. Können Sie sich Delcourt vorstellen? … Und dann hat er diesen nervösen Tick mit der Faust, man hat immer den Eindruck, er will einem eine reinhauen.
– Habe ich nicht bemerkt, sagt Yves.
YVES UND ANNA
Morgen wird Anna vierzig Jahre alt. Zum ersten Mal seit Jahren hat sie keine Feier organisiert. Sie konnte sich nicht vorstellen, den Geburtstag ohne Yves zu begehen, und in ihrer Unschlüssigkeit hat sie so lange gewartet, bis es wirklich zu spät war, noch Einladungen zu verschicken.
Ungeduldig geht sie die Straße entlang. Sie ist mit Yves verabredet. Er hat ihr ein Geschenk versprochen. Kurz nach ihrer ersten Begegnung hatte er ihr einen Ring geschenkt, einen silbernen Ring, einen Ring, den man drehen kann und der sich wie eine Auster öffnet, die ihr Geheimnis preisgibt: einen gelben Diamanten auf goldenem Perlmutt. Aber dieses Schmuckstück liegt tief verborgen in einer Schublade unter einem Seidenschal.
Natürlich sitzt Yves schon längst in diesem Café, er liest in aller Ruhe die Zeitung. Anna hasst es, wenn man ungeduldig oder ängstlich auf sie wartet, sie hasst es, die Gefangene der Zuneigung eines anderen zu sein. Was sie sich wünschte, gibt es nicht: einen indifferenten Liebhaber, der sie dennoch bis zum Wahnsinn liebte.
Kaum hat sie ihm
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