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Kein Wort mehr ueber Liebe

Kein Wort mehr ueber Liebe

Titel: Kein Wort mehr ueber Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herve Le Tellier
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die mich nach den zehn wichtigsten Daten meines Lebens gefragt hat, als Letztes: »September diesen Jahres. Vom Blitz getroffen.«
    DREI
    Sagen wir es gleich: Es wird keine chronologische Abfolge geben, keine wirkliche Logik und vor allem keine Hierarchie. Die letzte verzeichnete Erinnerung wird nicht mehr und nicht weniger sein als eben die letzte. Sie wird die oben liegende Seite eines Würfels sein, der zur Ruhe gekommen ist, denn jeder Würfel, den man wirft, muss ja irgendwann liegen bleiben. Was diese dritte Erinnerung angeht, so ist sie hier nicht wirklich am Platze, aber sei’s drum.
    Es ist ein Abend im Herbst, Du kommst am späten Nachmittag bei mir vorbei und bringst uns drei Kuchenstücke mit, denn meine Tochter ist auch da: Apfelkuchen, Birnenkuchen und ein Puddingteilchen. Du hast die drei Stücke geteilt, Du isst nur den Belag und lässt den Rand und den Mürbeteigboden übrig. Meiner Tochter gegenüber mache ich die Bemerkung, dass sich so etwas nicht gehört, wenn man irgendwo zu Gast ist. Du brichst in Gelächter aus: Du hast gerade bemerkt, dass Du Dich »ganz wie zu Hause« fühlst.
    Du bist nicht mehr auf Besuch.
    VIER
    Nackt unter dem Laken liegen wir im Bett. Du zählst die Dinge auf, die Du magst: über eine Brücke gehen, eine Landschaft von oben betrachten, so lange suchen, bis man das richtige Wort gefunden hat, lachen, spazieren gehen, denBlick von Männern, die Du liebst, auf Dir spüren … »Kleider kaufen« hast Du nicht erwähnt. Ich mache Dich darauf aufmerksam. Du wunderst Dich, nicht selbst daran gedacht zu haben. Ich würde mich so gerne an alles erinnern: Du liebst es immer noch, dass ein ganz schwaches Licht an bleibt, wenn Du nachts allein schläfst, Du liebst alte Kirchen, Du liebst es, begehrt und genommen zu werden, Du liebst das
Quattrocento
. In ungeordneter Reihenfolge.
    FÜNF
    Du schläfst. Du liegst auf dem Rücken, die Knie beieinander, die Beine angewinkelt, die Füße ausgestellt. Das Ganze bildet eine sehr stabile Pyramide, die ich nicht zum Kippen bringen kann. Unter der Bettdecke zieht’s, es wird nicht warm. Kein Mensch kann in dieser Stellung schlafen. Und doch schläfst Du tief und fest; es ist unmöglich, Dich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Am nächsten Morgen wirst Du mir natürlich kein Wort davon glauben.
    SECHS
    Ein Telefongespräch, wohlgemerkt. Wir werden tausendmal telefoniert haben, und diese Zahl ist nicht einmal so arg übertrieben. Sagen wir, dass dieses hier das fünfhundertste ist.
    Der TGV durchquert den Morvan, ich trinke einen Kaffee an der Bar des Bordrestaurants, die hügelige Landschaft gleitet an meinen Augen vorbei. Ich höre, wie Du mir sagst: »Ich habe mir überlegt, dass ich bei unserer Hochzeit ein rotes Kleid tragen werde.«
    Tragen
werde
, nicht
würde
. Kein Umlaut. Ich höre es deutlich. Das ist ein Futur. Wenn Du schon an Deine Kleider denkst, dann ist es wirklich ernst. Zehn Minuten lang sprechen wir über die Zeremonie, den Ort, die Gäste, die Musiker, ich weiß, dass Du Scherze machst, ich weiß auch, dass Du Gefallen an diesem Spiel findest, denn nur so ist es Dir möglich, uns diesen Bruch vollziehen zu lassen, der eine Verbindung zwischen uns beiden wäre.
    Von Zeit zu Zeit kommt der TGV an einem Dorf vorbei. Ich sehe den Kirchturm, wahrscheinlich gibt es dort auch ein Rathaus, aber gewiss keine Synagoge.
    SIEBEN
    Noch eine Runde auf dem Karussell im Jardin des Plantes, und Deine kleine Tochter steigt vom Holzpferdchen herunter. Léa hat es, trotz aller Anstrengungen der Dame an der Kasse, nicht geschafft, sich die rosarote Troddel zu schnappen. Ein rothaariges Mädchen, das besser saß und kampflustiger war, hat es jedes Mal vor ihr geschafft. Wir setzen uns neben den kleinen Getränkekiosk: zwei Kaffee, eine heiße Schokolade. Weil Léa ihren Tretroller stehen gelassen hat undDu zurückgehen musst, um ihn zu holen, sitzen sie und ich uns nun schweigend allein gegenüber, wir beobachten uns, ich von oben und vorsichtig, sie von unten und verschmitzt.
    Das ist unsere erste echte Begegnung. Ich finde, dass sie Dir, trotz ihrer blonden Haare und ihrer blauen Augen, ähnelt. Und da kommst Du auch schon zurück, und wir brechen auf zum Großen Gewächshaus. Plötzlich schiebt Léa sich zwischen uns. Sie nimmt Deine Hand, dann, vollkommen überraschend, die meine und spielt zwischen uns Schaukeln. Eine Geste Deiner kleinen Tochter verhilft mir zur Existenz, und eine ganz kleine Hand schenkt mir einen Platz, den nur sie

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