Kein Wort zu Papa - Heldt, D: Kein Wort zu Papa
Vater, gibt es ein Problem?« Heinz hatte noch genügend Vater-Gene im Körper, um zu merken, wenn die
Küken in die Bredouille gerieten. Er stand plötzlich neben mir und lächelte Eleonore Stehler gefährlich freundlich zu. »Sie
suchen meine Jüngste?«
Verdutzt starrte Eleonore ihn an. »Bitte?«
»Sie wollen etwas von Ines?« Er hatte es gesagt, als würde er mit einer Schwerhörigen sprechen. »Vielleicht können wir das
regeln?« Er lächelte immer noch. Seine Augen nicht.
Eleonore Stehler sah unschlüssig von ihm zu mir. Sie trat einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf. »Es hat Zeit.«
»Gut.« Heinz nickte und ging zum Auto. »Christine, kommst du? Ich möchte los.«
Bevor ich mich umdrehen konnte, um ihm zu folgen, griff Eleonore meinen Arm und zischte: »Sagen Sie Ihrer Schwester, sie soll
Herrn Morell in Ruhe lassen.« Abrupt ließ sie mich los und verschwand wieder im Haus. Ich blickte ihr mit offenem Mund hinterher.
Ines und der jugendliche Liebhaber? Wie betrunken war die Dame denn gestern gewesen? Das war ja völlig absurd.
Als ich mich ins Auto neben meinen Vater setzte, steckte er gerade den Gurt ein. »Eine böse Frau«, sagte er leise. »Sie hat
so ein gemeines Kinn.«
»Papa, sie ist ein Gast.« Mein Leben lang hatte ich die schnellen Urteile meines Vaters gehasst, aber manchmal hatte er einfach
das richtige Gespür.
»Wirklich eine böse Frau. Was hat Ines denn angestellt?«
»Nichts, Papa.« Ich musste fast lachen. »Garantiert nichts. Frau Stehler hat tatsächlich ein gemeines Kinn. Aber sag’s nicht
weiter.«
Die Küchengardine bewegte sich, als ich vor dem Haus von Kalli und Hanna hielt, und fünf Sekunden später ging die Haustür
auf.
Ein aufgeregter Kalli, der den Zeigefinger auf die Lippen presste, stand in der Tür und trat von einem Bein aufs andere. »Sie
wissen noch nichts«, raunte er uns zu, während er Heinz unbeholfen umarmte und ihm mit der Hand unentwegt auf den Rücken schlug.
»Das soll doch eine Überraschung sein.«
»Wieso ist die Tür denn auf? Es zieht wie Hecht.« Hannas Stimme schallte durchs Haus, bevor sie selbst im Flur auftauchte
und uns entsetzt anguckte. »Großer Gott. Ist was passiert?« Sie trat einen Schritt zurück und starrte meinen Vater an. »Wo
kommst du denn jetzt her?«
»Vom Frühstück.« Er strahlte sie an und breitete die Arme aus. »Deine Freundin Adelheid hat mir sogar ein Ei gekocht. Gut,
dass wir auf deinem Geburtstag damals Brüderschaft getrunken haben. Die hat mich gleich erkannt, die Adelheid, so eine patente
Frau. Mensch, Hanna, wir haben uns ja ewig nicht gesehen.«
Bevor sie in seinen Armen versank, fand sie noch die Zeit, ihren Kopf zu drehen und »Charlotte« zu rufen.
Ich hatte mich entspannt ans Treppengeländer gelehnt und wartete jetzt die Reaktion meiner Mutter ab. Sie würde gelassen sein,
das war sie immer. Auch heute.
»Heinz«, sagte sie bloß und lächelte mir kurz zu. »Hast du auch die Hintertür abgeschlossen?«
Eine Stunde später kam ich in die Pension zurück. Ines saß vor ihrem Laptop in der Rezeption. Ich ließ mich in den Sessel
vor dem Tisch fallen und streckte meine Beine aus. »Mama hat sich überhaupt nicht gewundert, dass er plötzlich auf der Matte
stand.«
»Das glaube ich.« Ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen, griff sie nach einem Rechnungsformular. »Sie ist seit fast fünfzig
Jahren mit ihm verheiratet, da wundert sie nichts mehr.«
»Was machst du da eigentlich?« Ich beugte mich vor, um besser sehen zu können.
»Ich schreibe die Rechnung für Ehepaar Berger aus Zimmer 10. Sie reisen heute ab. Dann haben wir drei Zimmer frei. Reservierungen habe ich nicht mehr gefunden. Aber sag es nicht laut,
sonst kommt Papa noch auf die Idee, hier zu wohnen.«
»Bloß nicht.« Ich wollte es mir nicht einmal vorstellen. »Ich werde sowieso mit Kalli reden. Er soll mit Papa Strandwanderungen
oder Fahrradtouren machen, egal was.«
Ines rollte mit dem Stuhl ein Stück zurück und legte die Hand auf den Drucker. »Jetzt druck schon! Wieso ist Papa überhaupt
gekommen? Hat er sich so sehr mit Inge gestritten, dass er wegmusste?«
»Auch.« Ich sah wieder sein aufgebrachtes Gesicht vor mir. »Inge hat sich geweigert, seine Rundumversorgung zu übernehmen.
Er hat vorgestern seine schmutzige Wäsche hingebracht, sie hat gesagt, er sei ja wohl nicht bei Trost. Er hätte nur Langeweile,
aber garantiert genug saubere Wäsche. Sie sei
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