Kein zurueck mehr
raus und legt sie neben die Kirschen auf den Stuhl. Er hat da so sein System, wenn er Einkäufe auspackt: Trockene und knusperige Artikel auf einem Stuhl, Badezimmer-Kram/Taschentücher/Reinigungsmittel auf einem anderen und die Sachen für Kühl- und Gefrierschrank bleiben auf dem Tisch. Total organisiert. Total wie meine Mutter. Wenn sie wirklich kommen wollte, hätte sie sich schon selbst Hotels rausgesucht, ich weiß. Ich stehe auf und fange an, Christian zu helfen.
»Gibt’s was Neues?«, fragt er.
»Sie ist noch nicht losgefahren.«
Wir schweigen; meine Worte verfolgen uns. Sie folgen mir, als ich mich hinknie, um die Kräuter für die Würzsoße zu suchen. Sie klingen in meinem Ohr, als ich die Kräuterdosen auf die Anrichte stelle. Ich beschließe, sie abzuschütteln.
»Aber sie wird losfahren«, sage ich, während er damit weitermacht, Gefrorenes von Frischem zu trennen.
»Was?«
»Sie wird kommen.«
Als sich das Schweigen wieder ausbreitet, beginne ich mit der Würzsoße, indem ich langsam das Salz in einen Topf mit Wasser rieseln lasse. Ich wiege die Kräuter ab und werfe sie hinein: kleine getrocknete Salbeiblätter, intensiver, dominanter Rosmarin. Christian kommt dazu, öffnet den Gefrierschrank und beginnt, die neuen Lebensmittel zu verstauen.
»Du glaubst nicht daran«, sage ich.
»Vielleicht sollten wir sie anrufen.«
»Ich mach nur noch das hier zu Ende«, sage ich. »Wir haben die Zutaten ja ohnehin schon eingekauft. Und die Marinade allein braucht vierundzwanzig Stunden.«
Ich will lieber weiterhin glauben, dass sie auf dem Weg ist.
Ich greife nach einem Messer, um den Vogel von der fleischfarbenen Plastikverpackung zu befreien, aber Christian packt meine Hand.
»Ruf an«, sagt er.
Ich gebe die Nummer ein und höre es klingeln. Bitte geh nicht ran. Sei weg. Sei schon auf dem Weg. Sei in einem Hotel. Ich will, dass mein Dad abnimmt und mit atemloser Stimme »Jennifer?« sagt. Ich will diese Verzweiflung hören.
Ring .
»Richter Witherspoon«, ertönt die Stimme meines Vaters, barsch und grimmig.
»Ich bin’s.«
Ich höre etwas hinter ihm, das so klingt, als würde er auf einem Bahnsteig stehen oder so was.
»Warum rufst du noch mal an? Brauchst du Geld?«
Manchmal frage ich mich, warum Worte uns nicht tatsächlich sichtbare Wunden zufügen können.
»Was ist das für ein Geräusch?«, frage ich.
Der Lärm verstummt und ich kann ihn jetzt deutlicher verstehen.
»Der Staubsauger«, sagt er und mein Magen krampft sich zusammen.
»Mom macht sauber?«
»Natürlich.«
»Kann ich sie mal haben?«
»Sie ist gerade sehr beschäftigt«, sagt er. »Sie hat heute Morgen beschlossen, die Fußböden von Hand zu schrubben, statt die Putzfrau das machen zu lassen. Sie will alles selbst vorbereiten für unsere Party.«
»Für eure was?«
»Thanksgiving-Party. Wir haben die Richter eingeladen.«
Es entsteht eine Pause, während ich versuche zu verarbeiten, was er da gerade gesagt hat. Kurz vor einer Party mit seinen Kollegen wird sie ihn nicht sitzen lassen.
»Kann ich sie mal haben?«, sage ich.
»Wer ist denn dran?«, höre ich sie im Hintergrund fragen.
»Es ist Jace.«
Es entsteht eine lange Pause und ich weiß, was da jetzt abläuft. Sie führen ihren »Tanz danach« auf. Mein Dad überlegt: Wie viele Minuten kann ich sie reden lassen, damit sie mir verzeiht? Wie nah kann ich danebenstehen? Wenn sie ans Telefon kommt, weiß ich, dass er wieder den Charmeur raushängen lässt, dass er etwas wiedergutzumachen hat.
»Jace?«, sagt sie, aber ihre Stimme zittert und der Zischlaut in meinem Namen klingt zu scharf. »Wie geht es dir?«
Meine Kehle ist wie zugeschnürt. »Bist du in Ordnung?«
Ich umklammere den Hörer. Ich weiß, dass wir nicht offen reden können, nicht, wenn er im Hintergrund lauert. Aber ich wünschte, sie könnte sagen: Mir ging’s nie besser. Ich breche morgen auf und kann es nicht erwarten, dich und deinen Bruder zu sehen. Ich wünschte, sie würde sagen: Jetzt wird alles gut.
»Mir geht’s gut, Liebling. Mach dir keine Sorgen um mich, okay?«
Ihre Vokale klingen flach und sie lispelt ein bisschen; es tut ihr weh, den Mund zu bewegen.
»Wann fährst du los?«, frage ich.
»Nein, ihm geht es auch gut. Gessstern Abend hat er gedacht, ich hätte versucht dich zu finden. Wie seltsam, dasss du gerade heute anrufst. Wo bissst du?«
»Sag: ›So weit weg?‹«, fordere ich sie auf.
»So weit weg?«, sagt sie.
»Weiß er, dass du gehen willst?«
»Nicht
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