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Keine Angst vor Anakondas

Keine Angst vor Anakondas

Titel: Keine Angst vor Anakondas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Dirksen
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Jörg.
    »Was meinst du mit Zeitblase?«, weiche ich erst einmal aus.
    »Einen Bereich, in dem die Zeit viel langsamer voranschreitet als im Rest der Welt. Das kam mal bei Raumschiff Enterprise vor.«
    Nach kurzem Nachdenken frage ich: »Gut, aber wer ist jetzt in der Zeitblase gefangen?«
Rendezvous der Vorfahren
    Diese Geschichte beginnt vor etwa 380 Millionen Jahren im Devon, welches von Paläontologen gerne als das Zeitalter der Fische bezeichnet wird. In den Meeren entwickelte sich eine ungeheure Vielfalt unterschiedlichster Fische. Das Devon ist aber auch das Zeitalter, in dem sich ein Knochenfisch aus dem Wasser erhob, um das Land zu erobern. Dieser urtümliche Fisch war mit muskulösen Flossen ausgestattet, die es ihm ermöglichten, sich staksend und kriechend bis an den seichten Rand des Gewässers zu schieben und später auch an Land vorzudringen.
    Bei einer fiktiven Begegnung zweier nahe verwandter Knochenfische des Devons hätte sich zwischen diesen beiden in etwa folgendes Gespräch entwickeln können:
    Fisch 1 (Rhipidistia): »Kommst du mit an Land?«
    Fisch 2 (Actinistia): »Nein, da ist es doch so furchtbar trocken! Außerdem ist es windig, mal heiß, mal kalt, ich bleibe lieber im Wasser. Da weiß man, was man hat.«
    Fisch 1: »An Land gibt es aber neue, abwechslungsreiche Lebensräume zu besetzen. Saftige Wiesen, Berge, Wälder, Steppen, alles ist wunderschön und frei für uns, zum Nulltarif. Was für eine spannende Herausforderung! Was für ein Abenteuer!«
    Fisch 2: »Die Flüsse, Seen und Ozeane sind mir wirklich groß genug.«
    Fisch 1: »Denk doch mal an all die Leckerbissen an Land, die nur darauf warten, unsere Gaumen zu erfreuen!«
    Fisch 2: »Ich mag aber am liebsten Fisch.«
    Fisch 1: »Hey, wir können Arme und Beine entwickeln und vom Wasser unabhängig werden! Wir könnten sogar das Fliegen lernen!«
    Fisch 2: »Im Wasser zu schweben ist doch dasselbe. Außerdem kann man im Wasser nicht abstürzen. Besser die blaue Tiefe als blaue Flecken.«
    Fisch 1: »Wir könnten greifen, auf Bäume klettern, Werkzeuge herstellen, Feuer machen, uns kulturell entwickeln, über alles herrschen, philosophieren, telefonieren und sogar zum Mond reisen!«
    Fisch 2: »Tut mir leid, ich bekomme Migräne, wenn ich mir das alles vorstelle. Ich verdrücke mich jetzt erst einmal ins tiefere Wasser. Ciao!«
    Fisch 1 und Fisch 2 sind längst ausgestorben, genauer gesagt: in ihrer damaligen Form nicht mehr existent. Beide sahen sich ähnlich und waren eng miteinander verwandt, und beide haben Nachfahren, die heute noch leben. Unglaublich, wie verschieden die Wege sind, die die ehemals so nah verwandten Arten beschritten haben beziehungsweise geschwommen sind.
    Fisch 1, der Rhipidistia, hat tatsächlich das Land erobert. Seine Nachkommen haben wie Konquistadoren praktisch jeden möglichen Lebensraum in Besitz genommen. Einige haben das Fliegen gelernt, und andere haben, allen Unkenrufen zum Trotz, Steine auf dem Mond gesammelt. Diesen innovativen Fischen ist es geglückt, sich in immenser Vielfalt an Formen und Lebensweisen immer wieder neu zu erfinden. Aus den frühen Amphibien entwickelten sich die Reptilien und aus diesen wiederum die Vögel und Säugetiere. So gingen aus den etwas plump erscheinenden Raubfischen des Devons Kolibri und Anakonda, Salamander und Nashorn, eben alle Landwirbeltiere und deren Nachfahren hervor. Bei einigen Wirbeltieren wie Blauwal und Seekuh scheint die Erinnerung an gute Zeiten im kühlen Nass auch später noch vorhanden gewesen zu sein, denn sie sind komplett ins Wasser zurückgekehrt. Und klar, auch die aktuell herrschende Primatenspezies stammt letztlich von ihnen ab.
    Fisch 2, der Actinistia, hat es sich hingegen in der Tiefe der Ozeane so richtig bequem gemacht. Seine Enkel und Urenkel haben es vorgezogen, in unendlich erscheinenden Ewigkeiten genau das zu bleiben, was sie immer gewesen sind: urtümliche Knochenfische. Ihre Anzahl ist im Vergleich zu den Landeroberern vernichtend gering. Sie führen ein verborgenes Leben in der Tiefe des Ozeans und mögen keine Veränderung, vor allem nicht bei sich selbst.
    In jüngster Zeit, also etwa in den letzten tausend Jahren, haben sie allerdings immer mehr absonderliche Aktivitäten an der Meeresoberfläche feststellen müssen. Erst waren es nur Schatten, die langsam, aber schnurgerade über den Wasserspiegel dahinglitten. Nach und nach wurden diese immer größer. Und dann begannen die Schatten plötzlich im langwelligen Bassbereich

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