Keine Angst vor Anakondas
mehr gesehen. Ein Hund läuft den See entlang und hat den Biber erschreckt und verscheucht. Die Szene ist restlos versaut, Uwe Müller flucht kräftig. Wie hat das passieren können? Ein paar 100 Meter entfernt steht eine Blockhütte, in der angetrunkene Leute feiern. Sie wollten mal schauen, wie es draußen beim Filmen so läuft. Ihr Hund hatte die Gelegenheit genutzt und sich verdrückt. Vielleicht war es sogar ebenjener einsame Baum, den die Filmer am Seeufer eingegraben hatten, der den Hund anlockte. Bekanntlich nutzen auch Hunde gerne Bäume, wenn auch ganz anders als Biber. Das war Pech. Aber wie die Momente des Glücks beim Einfangen ganz besonderer Ereignisse, so gehört auch zum Alltag der Tierfilmer, dass nicht alles auf Anhieb gelingt. Frustriert bricht das Team die Arbeiten für diese Nacht ab.
Am nächsten Tag ist Silvester. Kaum eine Nacht ist ungeeigneter zum Filmen von wilden Tieren als diese, in der der Himmel von Feuerwerk erhellt wird und es böllert und kracht. Das weiß auch Uwe Müller und nimmt deshalb die Einladung der Hüttenmannschaft ins Warme an. Filmteam und Hüttenbewohner feiern zusammen. Die Biber wiederum begrüßen das neue Jahr auf ihre Weise, indem sie als Festschmaus an einem einsamen Baum, der mit ungewöhnlich vielen saftigen Zweigen behängt ist, nagen und ihn fällen. Sie stopfen sich die Bäuche voll und transportieren Äste und Stämme zur Verstärkung ihrer nahen Burg ab. Die Biber vom Bibersee können einen rundum erfolgreichen Jahreswechsel verbuchen.
Ungläubig starren die Tierfilmer am nächsten Tag auf die Reste der Biberfeier. Wieder eine Gelegenheit verpasst! Frustriert wird ihnen bewusst, dass sie demnächst einen dritten Baum einpflanzen müssen, um die Schlüsselszene endlich in den Kasten zu bekommen. Zunächst jedoch reist die Filmcrew ab, um an anderen Stellen Feuerlands weitere Szenen ihres Dokumentarfilms zu drehen. Uwe Müller wird immer unruhiger. Der Rückflug nach Deutschland rückt bedrohlich näher, und noch immer fehlt ihm die wichtigste Sequenz.
Drei Wochen später fahren sie erneut zum Bibersee, um einen letzten Versuch zu starten. Zum dritten Mal setzen sie einen Baum auf den Biberpfad. Die Erinnerung an die kalten Nächte ist ihnen noch gut im Gedächtnis, denn jetzt steigen sie auf Bewegungsmelder und ferngesteuerte Kameras um und sitzen nachts in einer heimeligen Blockhütte. Nur noch ab und zu gehen sie zum Bäumchen, um Batterien und Filmkassetten zu wechseln. In den nächsten drei Tagen geschieht wieder nichts. Zwar zeichnen die Kameras auf, dass ein paar Biber ab und an in der Nähe des Bäumchens vorbeikommen. Doch es passiert genau genommen: nichts. Kein einziger Nager probiert seine Zähne an dem Baum aus. Vielleicht nötigt der Masterplan sie, irgendwo anders einen wichtigen Staudamm zu vollenden oder eine Biberburg zu erneuern. Es ist zum Verrücktwerden. Einen triftigen Grund für die standhafte Weigerung, den Baum zu fällen, kann Uwe Müller nicht erkennen. Er wünscht sich nichts sehnlicher als ein kräftiges, herzhaftes Nagen. Einfach einmal kraftvoll zubeißen! Tagsüber steht er am See und bittet flehentlich: »Ihr Biber, nun fällt doch endlich den Baum da! Ich habe euch doch schon so oft gesagt, dass wir die Szene unbedingt brauchen. Zwei Mal habt ihr einen Baum von uns gefällt, warum denn nun diesen nicht?«
So bricht denn die allerletzte Nacht am Bibersee an, und noch immer steht der Baum an derselben Stelle. Keine Frage: Der Baum gefällt sich in seiner Statistenrolle und hat schon munter damit begonnen, neue Wurzeln zu schlagen. Die Biber lassen sich wieder nicht blicken. Mitten in der Nacht beim Wechseln eines Akkus spricht Uwe Müller, der Verzweiflung nahe, mit seinen Kollegen: »Ich gehe die Biber jetzt suchen!« Er stolpert in der Nacht am Seeufer entlang, und tatsächlich tauchen drei schwimmende Biber im letzten der vier terrassenförmig angelegten Seen vor ihm auf. Mit seiner Taschenlampe leuchtet er die Biber an und beginnt eindringlich auf sie einzureden: »Jungs, was soll denn das? Was macht ihr hier? Schwimmt mal schön zu dem Baum da drüben und fällt den. Dann kommt ihr auch ins Fernsehen!«
Die Biber im Wasser schauen ihn neugierig an und spitzen die Ohren, als wenn ein Lehrer seinen Schülern etwas sehr Wichtiges zu sagen hätte. Sie kennen seinen Geruch und seine Stimme, die sie längst nicht mehr beunruhigt. Dann schwimmen sie, wie auf ein lautloses Kommando hin, los, in die richtige Richtung. Einer
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