Keine Frage des Geschmacks
und der Sahelzone hatten verheerende Auswirkungen für die Bevölkerung, die schon durch die vom kommunistischen Regime des Diktators Mengistu Haile Mariam angeordneten Massenumsiedlungen ihres Lebensunterhalts beraubt war. Acht Millionen Menschen litten an Unterernährung, nach heftig umstrittenen UN-Schätzungen forderte die Hungersnot eine Million Opfer.
Spencer Elliot hatte bereits den Norden samt Eritrea bereist und wollte sich noch ein Bild der Situation im Süden machen. Ein einmotoriges Propellerflugzeug setzte ihn und seinen Kameramann auf der staubigen Landepiste des einhunderttausendEinwohner zählenden Ortes in der Region Oromiyaa ab. Der Reporter befand sich nun dreihundert Kilometer südwestlich von Addis Abeba und auf halbem Weg zum Ilema-Dreieck, dem von Äthiopien, Kenia und Sudan gleichermaßen beanspruchten Niemandsland. Jimma hatte einst auf der Karawanenroute des Königreichs Kaffa gelegen und beanspruchte der Ort zu sein, wo der Legende nach Mönche vor fünfzehnhundert Jahren die Eigenschaften der magischen Bohne entdeckt haben sollen, weil ihre Ziegen keinen Schlaf fanden, nachdem sie die rohen Früchte gefressen hatten.
Das Holzhaus von Miriams Familie, dessen Fassade himmelblau war und seine Vorhänge rosafarben, lag auf halbem Weg von der Landebahn in die Stadtmitte. Ihr Vater, der aufgrund seiner hellen Haut »Sohn eines Weißen« gerufen wurde, unterrichtete am Landwirtschaftskolleg. Seine Kenntnisse waren auch unter der Diktatur Mengistus gefragt, der Kaffee-Export war die Haupteinnahmequelle des Landes. Doch auch seine Familie war in Not, sein karger Lohn reichte nicht mehr aus, sie über Wasser zu halten. Miriam musste nur noch wenige Wochen zur Schule gehen, bis sie das Abschlusszeugnis erhielt. Danach müsste sie sich, wie ihre älteren Brüder, nach einer miserabel bezahlten Arbeit umsehen. Wenn sie Pech hatte, landete sie in Addis Abeba in einem Bordell.
Die beiden Engländer waren ihr an einer Verkehrsinsel begegnet, auf der eine überdimensionierte Kaffeekanne mit bunten Tassen thronte, mit der Aufschrift: »Jimma argama bunaa – Jimma Origin of Coffee«. Neugierig musterte Miriam die Männer mit ihren schweren Taschen. Der hochgewachsene fünfunddreißigjährige Spencer Elliot sprach nur ein paar Brocken der Amtssprache Amharisch, doch das Mädchen antwortete, nachdem sie Mut gefasst hatte, auf Italienisch, das ihr Vater sie gelehrt hatte, und als der Mann immernoch nicht verstand, versuchte sie es mit ihren dürftigen Englischkenntnissen. Aber auf die Frage nach einer Unterkunft konnte sie nicht anders antworten, als sie mit verlegenen Handzeichen aufzufordern, dass sie ihr folgen sollten. Vor der Tür des hellblauen Hauses ließ sie die beiden warten. Elliot hörte Stimmen aus dem Inneren, und lange geschah überhaupt nichts. Als sein Kameramann sich schon zum Gehen wandte, trat endlich ein dünner, fast hellhäutiger Mann mit nacktem Oberkörper heraus, auf dem sich die Rippen abzeichneten. Er bat die beiden Männer herein und hieß sie an einem Tisch Platz zu nehmen, wie Elliot ihn während der ganzen Reise in keinem der Häuser und Hütten gesehen hatte, die er betreten hatte. Massives Edelholz, und in der Mitte der Tischplatte befand sich ein Mosaik aus Elfenbein und farbigen Steinen. Neugierig betrachtete er es, bevor er Platz nahm. Unter einer Krone öffnete sich zu beiden Seiten ein samtroter Baldachin, unter dem wiederum zwei Löwen das Savoyer-Wappen hielten. Kaffeegeruch durchdrang den Raum, Miriams Mutter stellte die traditionelle Kanne genau darauf.
Auf Beschluss des Vaters mussten alle zusammenrücken und einen Raum an die Fremden abtreten. Elliot und sein Kollege blieben drei Nächte, dann machten sie sich zurück auf den Weg in die Hauptstadt. Ein Lastwagen nahm sie mit. Das Geld, das sie auf dem Tisch zurückließen, linderte die Not der Familie vorübergehend. Zwei Wochen später landete das kleine Flugzeug erneut. Diesmal blieb Elliot fünf Tage und sprach, wenn er seine Aufzeichnungen unterbrach, viel mit Miriam, die ihre Schüchternheit längst abgelegt hatte. Sie führte ihn zu den Ruinen der Residenz des König Jiffar, die auf einem kleinen Hügel vor der Stadt thronte, während sein Kameramann das Gerät wartete. Miriam lief mit nackten Füßen flink voraus, und Spencer Elliot hatte beizeiten Mühe, ihr zu folgen. Sie lachte über seine schweren Schuhe,mit denen er schon die ganzen Wochen unterwegs war und deren Sohlen sich lösten.
Miriam
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