Keine Frage des Geschmacks
Mama?«
»Vergiss nicht, was du mir versprochen hast«, mahnte Miriam. »Jeanette leistet für unsere NGO wertvolle Arbeit, und der Rest ist ihr Privatvergnügen. Klar?«
Candace drehte einen weiteren Joint. »Solange sie sich nicht erwischen lässt, sehe ich das auch so, auch wenn Politiker eigentlich keine Privatsphäre verdienen, solange sie in das Leben der anderen pfuschen und sich nachher selbst nicht an ihr Gequatsche halten. Und ein bisschen doof muss sie auch sein, sich in solch einer Situation erwischen zu lassen. Findest du nicht?« Sie zündete den Joint an und legte ein Bild nach dem anderen auf den Scanner. »Für wen ist es gedacht?«
»Die liberale Presse. Ich habe Jeanette geraten, es als einen perfiden Erpressungsversuch zu verkaufen, mit dem man sie absägen will. Nach dem Motto: Wehret den Anfängen, denn das kann schließlich jedem passieren.«
»Hoffentlich nicht!«
Von dem schmalen überdachten Balkon, auf dem Miriam in einer kleinen Pfanne die rohen grünen Bohnen über glühender Kohle röstete, zog der Geruch von frischem Kaffee in die Wohnung. Miriam liebte die traditionelle Zubereitung des schwarzen Elixiers und den Duft, die sie an ihre Kindheit erinnerten. Wie vor ihrer Mutter schon die Großmutter, zertrümmerte sie die qualmenden dunklen Bohnen im Mörser, gab das Kaffeemehl löffelweise in die enge Öffnung der Jabana,der langhalsigen geschlossenen Tonkanne, und kochte ihn ein paar Minuten auf. Den Rohkaffee kaufte sie entweder direkt bei D. R. Wakefield, dem Importeur in der Dolben Street, oder in Addis Restaurant in der Caledonian Road, wo sie manchmal einkehrte, um die Gerichte ihrer Heimat zu genießen.
Spencer Elliot, Candace’ Vater, war als Kriegsberichterstatter am 4. Oktober 1993 in Mogadischu in einen Hinterhalt geraten: Bill Clinton hatte im Verbund mit malaysischen und pakistanischen Blauhelmtruppen zur Operation »Gothic Serpent« geblasen, die achtzehn amerikanische Soldaten das Leben kostete – und tausende Somalis. Die Bilder von durch die Straßen Mogadischus geschleifter toter Amerikaner waren um die Welt gegangen und hatten bewirkt, dass sich die USA lange nur noch zurückhaltend an Blauhelm-Einsätzen beteiligten. Weder gegen den Völkermord in Ruanda ein halbes Jahr später noch 1995 zur Verhinderung des Massakers in Srebrenica, obgleich die militärische Aufklärung frühzeitig über eindeutiges Fotomaterial verfügte.
Über Jahre hatte Miriam erfolglos recherchiert und war selbst in das von einem nicht enden wollenden Bürgerkrieg erschütterte Somalia gefahren, ein Nachbarstaat ihres Heimatlands. Die genauen Hintergründe, die zum Tod ihres Mannes führten, erfuhr sie nie. Nicht einmal ein halbes Jahr nach ihm wurden zwei italienische Reporter dort unter ungeklärten Umständen ermordet, und auch in ihrem Fall wurde die Aufklärung bis heute verschleppt. Inzwischen wusste man, dass sie einem weltweiten Handel von Waffen und Giftmüll auf der Spur gewesen waren, von der Mafia gelenkt, von internationalen Geheimdiensten und exponierten Politikern gedeckt, die alle Angriffe trotz der Indizien und Beweise unbeschadet überstanden hatten und sich nach wie vor im Amt hielten. Wichtige Zeugen aber waren spurlos verschwunden. Miriam hatte mit den Italienern kurz vor ihrer Ermordung Kontakt gehabt.War ihr Mann vielleicht an derselben Sache dran gewesen?
Kein Tag verging, ohne dass sie an Spencer dachte. So oft sich die Gelegenheit bot, hatte sie Candace von ihm erzählt, auch davon, wie er sie 1984 in Zeiten größter Hungersnot aus Äthiopien nach England geholt hatte, und dass die Weltöffentlichkeit erst dank seiner Reportage für die BBC erfuhr, was in dem Land passierte. Im Jahr darauf kam Candace zur Welt, die ihm im Wesen so ähnlich war und von klein auf keinen größeren Wunsch kannte, als den Beruf ihres Vaters zu ergreifen. Früh begann sie mit seiner Ausrüstung zu knipsen, und tatsächlich verdiente sie bereits während ihres Studiums ein bisschen Geld mit ersten Reportagen und machte sich nun als Freelancer zunehmend einen Namen. Menschen in Krisenherden, das war ihr Thema. Der gängigen Kriegsberichterstattung wollte sie Gesichter entgegensetzen: die des Leidens, des Verbrechens, des Überlebens und der Liebe in Zeiten des Todes.
Miriam war gerade neunzehn, als der britische Journalist Spencer Elliot in der Provinzstadt Jimma zusammen mit einem Kameramann auftauchte. Die Dürreperiode 1984 und im Jahr darauf Missernten in Äthiopien
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