Keine Frage des Geschmacks
Selbstwertgefühl zu steigen schien, je teurer sie einkaufen konnten. Die Adressen in London dominierten. Und lag nicht auch seit ein paar Tagen die sechsundachtzig Meter lange »Ecstasea«, angeblich angetrieben von einer Boeing-737-Turbine, im alten Hafen an der Mole? Eine der fünf Megayachten des russischen Magnaten Roman Abramowitsch. Tausend Euro Liegegebühr am Tag entsprach in etwa dem Großhandelspreis des kostbaren Kaffees aus der asiatischen Schleichkatzenkacke.
»Hast du auch Kunden aus Triest?«, fragte Laurenti, der die Schrullen seiner Mitbürger aus dreißigjährigem Dienst gut kannte und über ihre Skurrilität oft herzhaft lachte.
Niemand in der wohlhabenden Stadt hängte seinen Reichtum heraus. Man gab sich bescheiden und jammerte lieber über die ach so hohen Lebenshaltungskosten, nutzte im Stadtverkehr den Kleinwagen und holte die teuren Autos nur für größere Entfernungen aus der Garage. Natürlich lag eine Menge stattlicher Segelyachten an den Molen, doch in einer Hafenstadt erregte dies kein besonderes Aufsehen. Und kein Triestiner wäre je auf die Idee gekommen, sich ein schwimmendes Meerfamilienhaus samt Hubschrauberlandeplatz und U-Boot zuzulegen, das einer zwanzigköpfigen Besatzung bedurfte – dafür war man wiederum zu arm und zu geizig. Üblicher waren dafür die Wohnungen im Ausland, von denen der heimische Fiskus nichts wusste, und die sich grundsätzlich in der Nähe der anderen aus der Kaste befanden – an der Côte d’Azur, in einem adretten istrischen Küstenstädtchen oder in den Bergen in Bad Kleinkirchheim oder Kitzbühel, falls man Abwechslung von Cortina d’Ampezzo suchte. Und natürlich das Appartement in Paris, London oder NewYork. Zeit schien wie Geld keine Mangelware zu sein und von der Arbeit gestresste Triestiner eine selten aufzufindende Spezies.
»Einen einzigen.« Nicola Zadar kniff die Augen zusammen. »Raffaele Raccaro mit seiner Ladenkette.«
»Lele? Da schau einer an.«
Laurenti hätte es sich denken können. Raccaro war ein wichtiger Mann von extravagantem Auftreten, das zwischen extremer Biederkeit und plötzlichen Anfällen von Protz schwankte. Jeder in der Stadt wusste, dass ohne sein Einverständnis hier kaum eine wichtige politische Entscheidung fiel. Er stammte ursprünglich aus einfachen Verhältnissen und konnte auf eine schillernde Karriere zurückblicken, die im Triest der sechziger Jahre begonnen hatte. Kaffee war einer seiner frühen Geschäftszweige gewesen, doch vor zwanzig Jahren hatte er seine erfolgreiche Rösterei für alle unerwartet an einen internationalen Konzern verscherbelt und das erzielte Vermögen in andere Geschäftszweige, vor allem Beteiligungen gesteckt. Seine Zeitarbeitsvermittlung florierte dank der Krise mächtig, und auch mit den Filmleuten arbeitete eine seiner Firmen zusammen. Nicht nur wegen seines immensen privaten Archivs von Kriegsfotografien vermutete man ihn am politisch rechten Rand, obwohl bis heute noch kein Journalist ihm je ein offizielles Statement zu den brennenden Fragen entlocken konnte. Ausgerechnet gestern Nachmittag war auf Laurentis Tisch die Anweisung der Staatsanwältin geflattert, sich Raccaro vorzuknöpfen, weil dessen Telefonnummer im Apparat eines kalabresischen Zitrusfrüchtehändlers gespeichert war, der vor kurzem mit dreißig anderen Mitgliedern der ’Nrdangheta verhaftet worden war. Die Bande hatte afrikanische Immigranten bei der Orangenernte beschäftigt und sie über Monate unter unmenschlichen Bedingungen ausgebeutet. So lange, bis es in einer kalabrischen Landgemeinde zu einem gewalttätigenAufstand der Afrikaner gekommen war, die ihre kargen Löhne einforderten. Raccaros Telefone wurden nun überwacht, und Laurenti musste einen Vorwand finden, sich dem Mann zu nähern, ohne ihn aufzuscheuchen. Doch davon konnte der Commissario dem Kaffeehändler nichts erzählen.
»Anzunehmen, dass er die Spezialitäten als besondere Aufmerksamkeit verwendet, wenn andere Argumente nicht ausreichen. Einen Teil aber verkauft er weiter, das ist klar. Natürlich nicht in seinen Supermärkten«, sagte Zadar.
»Bekommt er etwa Rabatt?«
»Nein. Es gibt bei den knappen Mengen genug Leute, denen der Preis egal ist, wurscht, wieviel er draufschlägt. Ich gehe davon aus, weil er Achtelpfund-Packungen reservieren lässt, die er dann röstfrisch abruft. Und das unregelmäßig und in unterschiedlichen Mengen, die unmöglich seinem persönlichen Konsum entsprechen können.«
»Verlierst du denn nichts,
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