Keine Frage des Geschmacks
wenn Lele gleich eine größere Menge von einer solchen Rarität abnimmt? Der Kunde wird zum Konkurrenten?«
»Ein Kunde ist immer der größte. Preisnachlass gibt es keinen, aber wer hat schon gerne Raccaro zum Feind? Die meisten Abnehmer sind Wiederverkäufer – spezialisierte Cafés und Delikatessenhändler. Und die Mengen für sie alle sind natürlich wiederum durch uns kontingentiert. Schau, wenn du in einem dieser Lokale einen solchen Kaffee bestellst, dann bezahlst du bis zu fünfzig Euro pro Tasse, dazu braucht es gerade mal sieben Gramm. Du kannst selbst hochrechnen. Wareneinsatz mal zwölfeinhalb ist keine schlechte Handelsspanne.«
»Nicht einmal besonders viel, im Vergleich zu einem lauwarmen Espresso auf der Piazza San Marco in Venedig oder auf den Champs-Élysées in Paris, den ein ruppiger Kellner auf den Tisch knallt. Ich werde den Fall in die Hände eines erfahrenen Kollegen legen, Nicola. Er wird mich permanentauf dem Laufenden halten. Wenn sich die DNA seiner Haare in unserer Datei befindet, haben wir leichtes Spiel, und vielleicht gelingt es uns dann sogar noch rechtzeitig, die Ware zu sichern«, sagte Laurenti und erhob sich.
Dass Raffaele Raccaro einen Kaffeedieb beauftragt hatte, der für ihn diese Kostbarkeiten stehlen sollte, konnten sich weder Proteo Laurenti noch Nicola Zadar vorstellen. Der Mann konnte sich schließlich so gut wie alles kaufen, bis hin zu den Politikern. Eher ein Fall für die Steuerfahndung in Laurentis Augen.
*
Es war kurz nach neun Uhr und die Stadt noch von unverbrauchter morgendlicher Frische, als Laurenti, eine Drehunterbrechung des Fernsehteams nutzend, auf die Via Rossini trat und der falschen Kollegin aus Deutschland zuzwinkerte. Die Schauspielerin lächelte zurück, er hob das Revers seines Jacketts, so dass sie seine Dienstwaffe im Achselholster erkennen konnte, und ging amüsiert davon. Sollte sie doch darüber rätseln, ob er Realität oder »Fiction« war.
Morgens ging er gerne zu Fuß durchs Zentrum, um diese Zeit war der Verkehr noch erträglich, die Läden öffneten mit dem Klappern der Blechrollos vor den Schaufenstern, und man begegnete vielen bekannten und freundlichen Gesichtern. Die Menschen hatten noch Blicke füreinander übrig und grüßten. Man gönnte sich einen schnellen Kaffee in einer Bar an der Ecke und wechselte ein paar Worte oder traf eine Verabredung zum Abendessen. Später würde die zunehmende Geschäftigkeit, die der Tag bereithielt, all diese Freundlichkeiten von Stunde zu Stunde zurücknehmen und die wahren Krämerseelen enthüllen. Laurenti kaufte am Kiosk den »Piccolo« und ein paar überregionale Tageszeitungen, klemmte sie unter den Arm und schaute auf das Displayseines Mobiltelefons. Er erkannte ein Fragezeichen, das er jeden Morgen per SMS erhielt. Die Praxis seiner Hausärztin lag nur zwei Häuser weiter, vielleicht hätte Gemma Zeit auf einen Espresso. Er schickte eine Nachricht zurück und lehnte sich an eine Straßenlaterne gegenüber dem Hauseingang.
Anfang April sah sich Proteo Laurenti gezwungen, wieder einmal die Praxis seines alten Hausarztes am Canal Grande aufzusuchen. Längst war ein Check-up überfällig, hätte er jedoch den Zeckenbiss nicht entdeckt, dann wäre der Gang trotz der regelmäßigen Ermahnungen seiner Frau Laura wegen tausender dringlicher Termine noch weiter aufgeschoben worden. Der alte Dottor Pier Mora kümmerte sich seit einer halben Ewigkeit um die Wehwehchen des Polizisten, die gottlob nur selten auftraten. Proteo Laurenti hatte kaum Übergewicht, obwohl er nie Diät hielt, sprach überaus gerne dem exzellenten Wein vom Karst zu, schnorrte manchmal die Zigaretten seiner Assistentin Marietta, und Sport trieb er schon lange nicht mehr regelmäßig. Nur sommers schwamm er täglich in der Adria. Er erfreute sich seiner Meinung nach bester Gesundheit – solange niemand auf ihn schoss. So war ihm natürlich entgangen, dass sein Hausarzt – wie viele Triestiner ein passionierter Segler und, dank der vielen Törns auf seiner 45-Fuß-Yacht, stets mit ledernem, tiefgebräuntem Gesicht – sich allmählich in den Ruhestand verabschiedet hatte. Gemma, seine Tochter, war das einzige Kind aus dritter Ehe, des damals schon fünfzigjährigen Dottor Mora. Sie hatte zusammen mit Livia, dem ältesten der drei Kinder von Laura und Proteo, die Schulbank gedrückt. Umso erstaunter war Laurenti, anstelle ihres Vaters plötzlich die junge Frau im weißen Arztkittel vor sich zu sehen, als ihn die
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