Keine Frage des Geschmacks
vorgehen.
»Du wirst nichts tun ohne meinen Befehl«, fauchte Lele. »Erzähl weiter.«
»Die Qualle hatte gestern Besuch. Eine englische Journalistin ist in seinem Reisebüro aufgetaucht und hat ihm das Schreiben der Anwälte und den ›Independent‹ gebracht. Und in seiner grenzenlosen Blödheit ist er darauf reingefallen. Jetzt versucht er, es mir in die Schuhe zu schieben. Doch damit kommt er nicht durch.«
»Du warst es aber, der mir diese Fotos gezeigt und damit angegeben hat. Und du hast behauptet, die Aufnahmen hätte ein Etagenkellner gemacht.«
»Ich bin doch kein Denunziant. Ich wollte ihn nicht verraten. Es war ein Fehler, dass ich das Schwein schützen wollte. Das gebe ich zu, entschuldige bitte. Freundlichkeit lohnt nicht.«
»Was weißt du über diese Journalistin?«
Zögernd packte Aurelio aus, berichtete von seinen Observationen. Von der Malabar sei Miriam zur Piazza Oberdan gegangen und habe sich mehrfach auffällig umgesehen. Vor der Tramhaltestelle verharrte sie über eine Stunde auf einer Bank und beobachtete den Eingang zum Palazzo Vianello. Aurelio habe den Helm aufbehalten, bis die schwere Eichentür hinter ihm ins Schloss gefallen sei.
Lele wurde einiges klar, es musste sich um jene Journalistin handeln, die über sein Archiv schreiben wollte. Ihr Interesse war also nichts als ein Vorwand. Lele kratzte sich hinter dem Ohr, die Sache gefiel ihm nicht.
»Wieso weiß diese Frau, dass du hier arbeitest?« Er erhob sich, wobei er selbst im Stehen nicht die Rückenlehne seines immensen Chefsessels überragte. »Hast du dieser Engländerin davon erzählt?«
»Ganz bestimmt nicht.« Aurelio machte eine hilflose Geste.»Sie hat mich nicht einmal nach meinen Nachnamen gefragt. Die wollte bumsen, sonst nichts.«
»Diese Journalistin macht mich neugierig.« Der Alte nahm ein weißes Baseball-Käppi und setzte es sich verkehrt herum auf den Kopf. »Du wirst sie weiterhin beobachten. Auf Schritt und Tritt. Und du wirst mich über das geringste Detail auf dem Laufenden halten. Verstanden? Mit Giulio muss ich auch noch reden und mir seine Version anhören. Dann sehen wir weiter. Wehe, wenn du mich für dumm verkaufst. Ich muss jetzt auf einen Sprung zum Set dieser Fernsehleute. Die sind verstört, weil ihr Chef verschwunden ist. Dabei müssten sie mir eigentlich für diese Arbeitserleichterung danken. Allerdings hat Giulio zuletzt mit den Flugbuchungen für die Schauspieler ziemlich geschlampt, da gibt es einiges geradezurücken. Und jetzt kümmerst du dich als erstes um die Wertpakete, die müssen noch heute Morgen per Kurier raus.«
*
»Wenn Sie in Triest einen Cappuccino bestellen, dann erhalten Sie das, was woanders Macchiato heißt, und der wiederum heißt hier ›Capo‹, und Sie können ihn in einer Tasse oder auch in einem kleinen Glas bekommen, dann aber heißt er ›Capo in bi‹. Wollen Sie aber einen Cappuccino, wie Sie ihn kennen, dann müssen Sie einen Caffè latte bestellen. Bei uns ist eben alles anders.« Der Importeur lachte. Er hatte Miriam am Mittwochmorgen Punkt neun wie verabredet mit seinem Wagen am Hotel abgeholt und zuerst in eine Bar um die Ecke geführt. »Achten Sie darauf, wie die Leute ihren Kaffee bestellen. In nichts anderem sind die Triestiner so pingelig.«
Miriam machte eifrig Notizen.
»Ein guter Barista bereitet täglich etwa fünfzig verschiedene Arten zu – aber nicht wie bei Starbuck’s mit Sirup und Gewürzen. Sondern immer aus dieser Maschine hier.« Er tätschelteliebevoll die große Espressomaschine auf dem Tresen, fast wie eine alte Freundin. »Wir haben einmal hochgerechnet. Theoretisch gibt es fünftausendeinhundertvierundachtzig Varianten. Triest ist die Kaffeehauptstadt Italiens. Hier wird gut doppelt so viel konsumiert wie im Landesdurchschnitt. Knapp fünfzehnhundert Tassen im Jahr, vier am Tag. Und kein anderer Ort verfügt über die gesamte Produktionskette und so viele Beschäftigte in dieser Branche. Die Kaffee-Universität wurde zwar 1999 in Neapel gegründet, doch drei Jahre später aus gutem Grund hierher verlagert.«
Nicola Zadar war mindestens zehn Jahre älter als sie, ein eleganter Herr von gepflegtem Äußeren, der den dicken Maserati mit seinen manikürten Händen am Steuer gelassen durch den Freihafen lenkte und schließlich vor einem Speicher stoppte. Gabelstapler entluden bunt bedruckte Jutesäcke aus einem Container und fuhren die Last in das hohe Gebäude.
»Es gibt so viele Legenden um den Ursprung des Kaffees.
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