Keine Frage des Geschmacks
aufmerksam zuhören. Dabei wurde ihr immer klarer, dass sie den Schwerpunkt ihrer Reportage auf die Menschen legen würde, die professionell und voller Leidenschaft für ihr Metier waren, sich Zeit für sie nahmen und ihr die besondere Rolle dieser Stadt so liebevoll erklärten, als hegten sie eine besondereZuneigung für Triest. Galt das für alle Triestiner oder nur für die Kaffeehändler? Ebenso wie der Inhaber der großen Rösterei am Tag zuvor sagte auch Zadar, dass er häufig unterwegs sei und alle Länder bereiste, aus denen er seinen Rohstoff bezog. Menschen mit weitem Horizont.
Zadar erzählte aus der Geschichte der »Kaffeevereinigung« Triest, zu deren Gründern Menschen aus halb Europa zählten. Schweizer aus Graubünden hatten vor dreihundert Jahren in der einst rasant prosperierenden Hafenstadt mit dem Import begonnen, Italiener, Griechen, Juden, Deutsche, Serben, Slowenen und Kroaten drängten dann schnell in die Branche, die am Weltmarkt jedes Jahr Zuwächse verzeichnete.
»Und heute sind diese Kaufleute alle Italiener?«, fragte Miriam.
»Nein, sie sind Europäer.« Zadar lächelte charmant.
Zurück im Zentrum führte er die Journalistin durch seine Labors, wo Proben geröstet und verkostet wurden, aus denen anschließend die Mischungen des Rohkaffees für die einzelnen Kunden zusammengestellt wurden. Zadar deckte sie mit so vielen Informationen ein, dass sie ihren Artikel sofort hätte niederschreiben können. Fehlten nur noch die Besuche der typischen Kaffeehäuser und die Bars, und selbst dorthin wollte der Importeur sie begleiten. Miriam lehnte dankend ab, Ablenkung schadete nur.
*
Wenn Marietta ihm keinen Espresso zubereitete, musste er eben hinaus. Proteo Laurenti stand grübelnd am Tresen des »Caffè Torinese«, eines kleinen historischen Cafés am Corso Italia. Er betrachtete die braunen Ränder in seiner leeren Tasse und sinnierte über das, was ihm seine Tochter Patrizia am Abend zuvor anvertraut hatte. Nur einmal wurde er ausseinen Gedanken gerissen, als eine schöne, dunkelhäutige Frau mit hellblondem kurzem Haar neben ihm ihre Bestellung mit englischem Akzent aufgab und dann den Barista nach den Gewohnheiten seiner Gäste befragte.
Patrizia sah der Rückkehr Gigis, dem Vater ihrer Tochter Barbara, besorgt entgegen. »Weißt du, Papà«, hatte sie gesagt, als sie am Abend beieinandersaßen, »man entfernt sich so schnell voneinander. Ich mag ihn ja, aber eigentlich weiß ich gar nicht, wer er ist. Und ich erinnere mich auch kaum mehr an sein Gesicht. Im letzten Sommer zu Beginn seiner Ferien haben wir fast zwei Monate Tag und Nacht miteinander verbracht, dann musste er wieder für vier Monate auf See. Er kam zurück, als ich gerade im sechsten Monat war, und fuhr kurz vor der Geburt der Kleinen wieder weg. Natürlich ist er Barbaras Vater, aber wer sagt mir eigentlich, dass er deswegen auch gleich der richtige Mann fürs Leben ist?«
Sie nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas Wein, obwohl sie noch stillte.
»Patrizia, du musst die Entscheidung ja nicht übers Knie brechen«, sagte Proteo Laurenti. »Nimm dir Zeit, aber schlag keine Haken.«
Sie nickte stumm.
»Und wer ist der Neue, mit dem du unten am Strand schmust?«
Patrizia fuhr erschrocken hoch. »Woher weißt du das?«
»Denk dran, die Welt hat tausend Augen.« Er wollte nichts weniger, als seine Schwiegermutter anschwärzen. Der Hausfriede war heilig.
»Er heißt Guerrino. Nichts Ernstes, Papà. Ich hab das von Anfang an klargestellt.«
»Und wie lange geht das schon?«
»Ich habe ihn auf der Entbindungsstation kennengelernt. Er ist Giulias Bruder. Die Frau, mit der ich das Zimmer geteilt habe. Die mit den Zwillingen.«
»Eine junge Mutter und ein frischgebackener Onkel! Alle Achtung, du hast dir ja richtig viel Zeit genommen.«
»Er ist wirklich süß, hat Humor und hübsch ist er dazu«, gurrte Patrizia.
»Und was macht der junge Mann? Er scheint ziemlich viel Zeit zu haben.«
»Er ist beim Corpo Forestale und hat Schichtdienst.«
»Ein Waldhüter?« Laurenti wunderte sich über seine Tochter. Seemänner und Waldhüter hätte er ihr nicht zugetraut. Und er dachte kurz daran, dass sich dieser Mann um Waldbrände und Wilderer zu kümmern hatte. Und, ausgestattet mit Remington-Gewehren, die Wildschweinbestände regulieren musste.
Als Livia nach Hause kam, wurden sie unterbrochen. Die Älteste hatte wieder einen langen Arbeitstag im Dienst der nervigen Fernsehleute hinter sich. Sie war blass wie
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