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Keine Frage des Geschmacks

Keine Frage des Geschmacks

Titel: Keine Frage des Geschmacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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allmorgendliche Fragezeichen. Er warf einen Blick zur Tür und stellte beruhigt fest, dass sie geschlossen war. Dann rief er Gemma zurück.
    »Ein Polizist in der Falle der Polizei! Tolle Geschichte!«
    Sie hatte gut lachen. Alvaro, ihr Freund, wohnte in Mailand, und sollte es wirklich jemand auf Tratsch abgesehen haben, drang der wohl kaum dorthin. Auch wenn Marietta versichert hatte, dass der Kriminaltechniker dichthielt. Laurentimüsste zukünftig auf der Hut sein und mit spitzen Bemerkungen des Kollegen rechnen. Und er würde ihn mit Samthandschuhen anfassen müssen, seine Worte behutsam wählen, wenn er Druck machen müsste, um schneller an Auswertungen zu kommen, als der normale bürokratische Gang dies vorsah. Von Marietta ganz zu schweigen.
    »Auf jeden Fall haben wir nun ein Versteck weniger«, sagte Laurenti.
    »Ein paar Tage noch, Lieber«, beruhigte ihn Gemma. »Ich habe gestern einen Anruf von meinem Vater erhalten. Er befindet sich inzwischen auf der Höhe von Dubrovnik und kommt bald zurück. Dann haben wir seine Yacht.«
    Es klopfte kurz an seiner Tür, bevor sie schwungvoll geöffnet wurde und Inspektor Gilo Battinelli hereinkam. Grußlos legte Laurenti auf.
    »Die ›Greta Garbo‹ wird flottgemacht, Commissario. Zwei Leute waschen das Deck, Waren werden angeliefert und verstaut. Lebensmittel, Wein. Und der Wassertank wird befüllt. Ich nehme an, Raccaro läuft bald aus.«
     
    Die Stadtchronik vermeldete wenig Neues. Die Skandalgeschichte über die englische Politikerin prangte auf Seite eins und wiederholte in anderen Worten, was gestern schon im Blatt gestanden hatte. Neu war lediglich die Erkenntnis, dass Erpressungsversuche oder Verunglimpfungen mittels kompromittierender Fotos eine lange Tradition hatten:
    »Marie Sophie Amalie von Wittelsbach«, vermeldete der Artikel, »die jüngere Schwester unserer Sisi, hatte es bereits im Februar 1862 erwischt. Gefälschte Aufnahmen, die sie in obszönen Posen während ihres Exils bei Papst Pius IX. in Rom zeigten, wurden an alle Höfe Europas verschickt. Die Daguerreotypie war erst fünfundzwanzig Jahre vorher erfunden worden. Von den späteren Möglichkeiten der Fotografie ahnte niemand etwas, geschweige denn von Fotoshop. Romwar damals noch ein Kirchenstaat und stand der Einigung Italiens im Weg. Damit setzte man den Vatikan unter Druck, ihr und ihrem Gemahl Franz II., König von Neapel-Sizilien, das Asyl zu verweigern. Pikant ist auch, dass die siebzehnjährige Prinzessin der Heirat zuvor nur aufgrund eines geschönten Bildes des Verehrers zugestimmt hatte. Ihr späterer Ehemann war nicht gerade attraktiv.«
     
    Die Macht der Bilder! Laurenti notierte ein paar Schlagworte: »Fotofallen, Überwachungskameras, Paparazzi, Maria Sofia, Engländerin, Erpressung, Fernsehfilm«. Täglich könnte er neue hinzufügen: Gerade hatte der Landesvater der Region Lazio Schlagzeilen gemacht, die ihn zum Rücktritt zwangen. Videos zeigten den verheirateten katholischen Linkspolitiker beim Sex mit einer Transsexuellen, die behauptete, seit sieben Jahren seine Geliebte zu sein und ihn auch mit Kokain versorgt zu haben. Eine Intrige, um ihn abzuservieren und Platz für einen Kandidaten des Premiers zu schaffen. Vier Carabinieri hatten den Politiker mit den Aufnahmen erpresst, und ein weiterer Mann, der sie an die Medien verkaufen sollte, wurde kurz darauf tot aufgefunden. Überdosis. Eine andere Transsexuelle wurde Opfer einer Rauchvergiftung infolge einer Brandstiftung in ihrem Appartement. Der Ex-Gouverneur aber zog sich angeblich zur Besinnung in ein Kloster zurück, die Neuwahlen gewannen wie programmiert die Rechten.
    Sollte etwa die Staatsanwältin mit ihrer Vermutung recht behalten, dass die Erpressung der Engländerin einen hochpolitischen Hintergrund haben könnte? Laurenti runzelte die Stirn. Wie zum Teufel sollte er dahinterkommen? Und dann auch noch die Bilder von Gemma und ihm – sollte Marietta ihn verraten, geriete er mächtig in Schwierigkeiten.
     
    *
     
    Gelb. Die Bilder tauchten stets in gelben Farbtönen vor ihm auf. Zuerst waren sie klar wie ein Sonnenaufgang, dann aber wurden sie zunehmend trübe, als zöge ein Sandsturm auf.
    Der Traum fing immer heiter an, verdüsterte sich aber rasch: Bekannte Gesichter und eine Unzahl fremder Leute. Manche kannte er vom Sehen, und er freute sich darüber, dass sie ihn herzlich begrüßten und mit ihm sprachen, ihn um seine Meinung baten. Komischerweise aber waren alle außer ihm bekleidet und blieben

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