Keine Gnade
Pupillen auf Licht reagierten. Gerade als er vom Bett zurücktrat, zuckten McKenzies Finger und ihre Augen gingen einen Spaltbreit auf. Julian glaubte, dass es weder Schwester Oliver noch dem Cop aufgefallen war, doch er stand direkt über ihr, und sie schaute ihn an.
»Sie sind es«, sagte McKenzie leise.
Julian fuhr zurück, als ob sie ihm einen Rammbock in den Magen gestoÃen hätte.
»Sie sind es«, wiederholte sie, dieses Mal ein bisschen lauter.
Sollte sie ganz zu sich kommen, konnte er sich nirgends verstecken.
»Haben Sie das gehört?«, fragte Schwester Oliver.
»Was gehört?«, erwiderte der Cop.
»Die Patientin hat etwas gesagt. Haben Sie es gehört, Doktor?«
»Ich habe gehört, dass sie etwas gemurmelt hat, aber ich glaube nicht, dass sie bei Bewusstsein ist. Es ist bei Komapatienten nicht unüblich, dass sie momentweise klar sind.«
»Sie sind es«, sagte McKenzie, dieses Mal viel deutlicher.
»Ich muss jemandem ähneln, den sie kennt«, erklärte Julian und hoffte, dass sie ihm seine Erklärung abkaufen würden. »Wenn man den kritischen Zustand ihres Herzens bedenkt, können wir es nicht zulassen, dass sie sich aufregt.« Er wandte sich an Schwester Oliver. »Ich brauche 10 Milligramm Diazepam, und zwar sofort. Ich werde ihr Krankenblatt auf den neuesten Stand bringen und alles Nötige vermerken.«
»Bin schon unterwegs, Doktor.« Mit diesen Worten verlieà Schwester Oliver das Krankenzimmer.
»Verzeihen Sie, Doktor«, sagte der Cop, »aber die Detectives, die mit dieser Ermittlung beauftragt sind, haben mich gebeten, sie umgehend zu informieren, wenn die Patientin wieder zu Bewusstsein kommt. Schon ein Gespräch von fünf Minuten könnte uns helfen, ihren Angreifer zu fassen. Ich verstehe nicht ganz, warum Sie sie sedieren wollen.«
Julian konnte sich kaum beherrschen, aber er riss sich zusammen. Wenn der Cop Schwester Oliver lange genug davon abhielt, ihr das Beruhigungsmittel zu geben, und Detective Rizzo es noch rechtzeitig hierherschaffte, dann stünde er vor einem Scherbenhaufen.
»Es sieht vielleicht so aus, als ob sie bei sich wäre«, insistierte Julian, »aber ich versichere Ihnen, das Einzige, was aus ihrem Mund kommt, ist unzusammenhängendes Gemurmel. Ihr Herz funktioniert kaum. Wenn wir sie nicht völlig ruhigstellen, könnte es sein, dass sie die OP morgen früh nicht mehr erlebt.«
»Okay, Doktor. Das habe ich begriffen. Ich muss aber trotzdem meinen Anweisungen folgen und die Detectives sofort verständigen. Wie auch immer sie entscheiden, es ist eine Angelegenheit zwischen Ihnen und denen.«
»In Ordnung.«
In dem Augenblick kam Schwester Oliver mit der Spritze zurück. Während der Cop den anderen Weg einschlug und auf seinem Handy telefonierte, injizierte sie das Beruhigungsmittel in McKenzies Infusionslösung.
Sofern Detective Rizzo nicht ein Fahrzeug mit Raketenantrieb fuhr, dachte Julian, war McKenzie OâNeill schon längst wieder bewusstlos, wenn sie hier ankam.
Und zum ersten Mal am heutigen Tag war Julian ein wenig erleichtert.
Nach einer gründlichen Seeleninspektion bereitete sich Sami darauf vor, Al im Del-Mar-Kinderwunschzentrum zu treffen. Ihn einfach nur zu sehen, war schon schmerzhaft. Während der schlaflosen Nacht gingen ihr Emilys Worte wie eine Endlosschleife immer wieder durch den Kopf. Sami hörte fortwährend dieselben Worte: »Gib ihm noch eine Chance, seine Liebe zu beweisen. Er ist es wert, Kus.«
Sami hatte keine Zweifel, dass Al es wert war. Das war nicht das Problem. Was sie anzweifelte war ihre Fähigkeit, ihm jemals wieder vertrauen zu können. Ohne Vertrauen ist eine Beziehung zum Scheitern verurteilt. Wenn er später nach Hause kam, würde sie ihn dann ins Kreuzverhör nehmen? Wenn er mit seinen Freunden ein Bier trinken ging, würde sie an ihren Fingernägeln kauen und sich fragen, ob er auf der Jagd war? Wenn ihr bei einer Umarmung ein fremder Geruch an ihm auffiel, würde sie ihn beschuldigen, mit einer anderen Frau zusammen zu sein?
So viele beunruhigende Fragen und so wenige Antworten.
Gerade als sie auf die Einfahrt des Zentrums fuhr, klingelte ihr Handy.
»Detective Rizzo.«
»Hier ist Officer Dolinski. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass Miss OâNeill ganz kurz ihre Augen geöffnet und ein paar Worte gemurmelt hat.«
»Was hat sie
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