Keine Gnade
paar hunderttausend, sondern unverschämt reich. Diese seltsame Tatsache brachte Spencer zu der Annahme, dass die Superreichen allesamt fragwürdige Typen waren.
Er stellte seinen Computer an und wartete geduldig daÂrÂauf, dass das System hochfuhr. Das Geschäft des PrivatÂdetektivs hatte sich während des letzten Jahrzehnts ziemlich weiterentwickelt.
Er konnte sich noch an die Zeiten erinnern, als man Wochen, wenn nicht sogar Monate gebraucht hatte, um sich Hintergrundinformationen oder familienbezogene Daten zu besorgen. Damals musste man sich sein Geld als Privatdetektiv wirklich verdienen. Mit dem Internet hatte sich eine völlig neue Welt eröffnet. Heutzutage war keine Identität mehr sicher, niemand konnte seine Angelegenheiten im Geheimen regeln. Die Welt war zu einem Schmelztiegel von Namen, Daten, Orten und Menschen geworden, alles und jeder war so transparent wie Klarsichtfolie â wenn man denn wusste, wo man nachschauen musste. Die Informationen, die er mit ein paar Mausklicks und einer gültigen Kreditkarte herausgefunden hatte, könnten die CIA neidisch werden lassen.
Spencer starrte voller Neugier auf den Monitor. Warum war sein neuer Klient »Mr John Smith« so versessen darauf, seine Identität zu verschleiern? Warum wollte er so viele Informationen über einen Detective des Morddezernats? Spencer hatte dem geheimnisvollen Klienten völlige Diskretion zugesagt, doch wer würde schon herausfinden, wenn der Privatdetektiv seine eigene kleine verdeckte Operation durchzog?
Spencer ging auf seine Favoritenliste und klickte
www.anyfamilyhistory.com an. Ins erste Feld tippte er »Samantha Rizzo«, fügte die Stadt und den Staat hinzu und wartete darauf, dass die Website für ihn zauberte.
Sami fuhr auf den Parkplatz des Reviers und blieb noch einige Minuten im Wagen sitzen. Sie ging davon aus, dass Captain Davison und Chief Larson ihr auflauern würden, sobald sie durch die Tür kam, um zu erfahren, wie sie mit der Ermittlung vorankam. Bis jetzt konnte sie ihnen noch nicht viel vorlegen, und der Druck würde bald unerträglich sein.
Alle Serienkiller hatten eine gewisse Ãhnlichkeit miteinander. Sami durchforstete ihr Hirn, versuchte sich an alles zu erinnern, was Simon betraf, in der Hoffnung, etwas zu entdecken, was sie übersehen haben könnte. Sie dachte an ihr Abendessen, die Zeit, die sie eingeschlossen in seinem Erlösungsraum verbracht hatte, wie er Angelina entführt hatte, die langen Unterhaltungen, die sie geführt hatten, um sich gegenseitig auszutricksen, sein irreführender Charme.
Sie wollte gerade aussteigen, als die Erkenntnis sie wie ein Blitz traf. Ein einziger klarer Augenblick warf ein völlig neues Licht auf die zwei Jahre voller Hilflosigkeit, die endlosen Nächte ohne Schlaf, die überwältigende Angst und die Unfähigkeit, dieses dunkle Kapitel in ihrem Leben zu einem Ende zu bringen. Sie verstand jetzt, warum sie nicht loslassen konnte. Warum Simon sie so fest im Griff hatte. Warum sie die Erinnerung, die sie so sehr verfolgte, nicht aus ihren Gedanken verbannen konnte. Warum ihre Vergebung nichts bewirkt hatte. Simon hatte Angelina und Sami nicht auf dieselbe Weise entführt wie die anderen vier Frauen. Samis rücksichtsloser Heldenmut, ihr ichbezogenes Bemühen, diesen Fall ohne Rückendeckung und ohne realistischen Plan völlig allein lösen zu wollen, hatten Angelina und sie in eine lebensbedrohliche Situation gebracht. Es war nicht Simon, der sie der Gefahr ausgesetzt hatte, sie war selbst dafür verantwortlich.
Seit mehr als zwei Jahren hatte sie ihre Gefühle falsch gedeutet, und das hatte sie im Stillen gequält. Ihre Schuld, die sie bis zur Verdrängung geleugnet hatte, hatte ihr niemals erlaubt, die Verantwortung für ihre rücksichtslose Vorgehensweise zu übernehmen. Und dass sie sich nicht nur selbst in eine so gefährliche Lage gebracht hatte, machte es so vollkommen unerträglich, sondern dass sie auch AngeÂlinas Leben aufs Spiel gesetzt hatte, die einzige Person, die sie mehr als alles andere auf der Welt liebte. Sami verstand jetzt, dass ihre Unfähigkeit, sich mit diesem Umstand ausÂeinanderzusetzen, ihrer Heilung wie ein riesengroÃer Stein im Weg lag.
Jetzt ergab alles einen Sinn.
Sie hatte während eines Jahres intensiver Therapie gelernt, dass der erste Schritt auf dem Weg zur Heilung einer offenen Wunde war, diese als
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