Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Keine Macht den Doofen

Keine Macht den Doofen

Titel: Keine Macht den Doofen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Schmidt-Salomon
Vom Netzwerk:
Lernenden ihrerseits sind
aufgefordert, nicht mehr bloß nachzubeten , was man
ihnen eingeflüstert hat, sondern selbst darüber nachzudenken ,
inwiefern das, was sie da lernen, relevant für ihr Leben ist und ob die
Informationen, die man ihnen zukommen lässt, tatsächlich einer kritischen
Prüfung standhalten. Im Idealfall werden somit die Lehrenden teilweise auch zu Lernenden und die Lernenden zu Lehrenden . Die Einbahnstraßenkommunikation
der Bildung verwandelt sich in einen Lerndialog ,
von dem beide Seiten profitieren.

Das Gelée Royale der Bildung
    Wie man sieht, läuft das hier nur kurz angerissene Bildungskonzept
auf eine Umkehrung der oben skizzierten Erziehung zur
Denkverödung hinaus. Denn die zentralen Leitsätze einer pädagogischen Anleitung zur Denkstärke lauten: Schere dich um Argumente! Gehe den Dingen auf den Grund! Sei ein
Narr, der gegen die Absurditäten des Systems aufbegehrt – kein Tor, der der dummen Horde folgt! Passe
dich herrschenden Gepflogenheiten nicht an, wenn sie himmelschreiend blöde
sind, sondern frage nach dem Sinn des Ganzen!
    Würde die kulturelle Matrix in diesem Sinne rekonfiguriert, hätte
dies weitreichende soziale, ökonomische und politische Konsequenzen: Denn wer
bereits von Kindesbeinen an gelernt hat, Vorgegebenes kritisch
zu hinterfragen , statt es im Austausch gegen gute Noten unreflektiert
wiederzugeben, der wird sich von religiotischen, ökologiotischen oder
ökonomiotischen Hirnwürmern so schnell nicht mehr infizieren lassen. Er wird
weder dem alten Gerücht vom Jüngsten Gericht auf den Leim gehen noch wird er
sich dazu drängen lassen, Chips zu entwerfen, die Geräte nach Ablauf der Garantiezeit
funktionsunfähig machen, oder »Finanzwerkzeuge«, die Menschen in den
finanziellen Ruin stürzen. Und selbstverständlich wird er auch keine Politiker
wählen, von denen er erwarten muss, dass sie derartigen Unsinn unterstützen.
    Damit sind wir auf unserer Suche nach dem Gelée
Royale , das uns zu »weisen Menschen« machen könnte, am Ziel angelangt.
Das Ergebnis dürfte niemanden sonderlich überraschen. Es lautet: Um uns zu Homo sapiens zu entwickeln, statt zu Homo
demens zu degenerieren, müssen wir mit dem Gelée
Royale der Bildung gefüttert werden. Dabei ist – wie schon bei den Bienen – nicht die Quantität ,
sondern die Qualität des Futtersafts ausschlaggebend.
Wer viel weiß, der muss deshalb noch lange nicht ge bildet,
er kann auch hochgradig ver bildet sein. Nicht nur Alter schützt vor Torheit nicht – auch Wissen und Intelligenz reichen nicht aus, um Torheit zu
verhüten. (Man muss, siehe Papst Benedikt XVI .,
sogar davon ausgehen, dass gerade intelligente Menschen anfällig für
Wahnvorstellungen sind, wenn sie frühzeitig mit entsprechenden Hirnwürmern
infiziert wurden – und gerade sie sind als Träger des Wahns in besonderer Weise
gefährlich.)
    Woran also erkennt man den Unterschied zwischen Bildung und
Verbildung? Im Grunde ist es ganz einfach: Im Unterschied zu den Hirnwürmern der Verblödung sorgt das Gelée
    Royale der Bildung dafür, dass a) unser Denkvermögen gestärkt wird , sodass wir logische
    Widersprüche als solche erkennen, b) unser Realitätssinn
geschärft wird, sodass wir uns nicht mehr aus der Wirklichkeit fortlügen
    können, und c) unser Rückgrat stabilisiert wird ,
sodass wir nicht schon beim kleinsten Anzeichen von Widerstand unsere Fähigkeit zum aufrechten Gang verlieren.
    Stünde dieses Gelée Royale weltweit zur
Verfügung, so wäre es um die Macht der Doofen, der Engstirnigen, der ewig
Gestrigen bald geschehen. Doch wie realistisch ist das? Ist es nicht eine
grandiose Illusion zu glauben, dass sich die Menschheit von ihren grandiosen
Illusionen befreien könne? Ist die Stimme der Vernunft nicht viel zu schwach,
als dass sie sich gegen all das Glockengeläut, all die Muezzinrufe, all das
Marktgeschrei, all das Politikergezänk durchsetzen könnte? Sigmund Freud gab zu
bedenken: »Die Stimme des Intellekts ist leise, aber sie ruht nicht, ehe sie
sich Gehör geschafft hat. Am Ende, nach unzählig oft wiederholten Abweisungen,
findet sie es doch. Dies ist einer der wenigen Punkte, in denen man für die
Zukunft der Menschheit optimistisch sein darf …« 95
    Wenn nicht alles täuscht, dürfen wir Heutigen in dieser Hinsicht
sogar noch etwas optimistischer sein als Freud in den 1930er-Jahren. Immerhin
können dank des Internets heute auch solche Meinungen kommuniziert werden, die
früher vom politischen

Weitere Kostenlose Bücher