Keine Macht den Doofen
geistlosen Aneignung entfremdeten Wissens .
Zwar heißt es, man solle für das Leben und nicht für die Schule lernen, faktisch ist es aber meist umgekehrt:
Schülerinnen und Schüler lernen für Prüfungen – das, was sie da lernen , hat für sie selbst, für ihr Leben, für ihr Weltverständnis keinerlei
Bedeutung , weshalb es kurz nach dem Prüfungstermin auch wieder in
Vergessenheit gerät.
Woran liegt es, dass das Lehrpersonal in der Regel so kläglich an
der Aufgabe scheitert, die Lernenden zu begeistern? Erstens :
Viele Lehrerinnen und Lehrer haben ihr Wissen selbst auf entfremdete Weise
erworben, sind also als Personen weder von den Inhalten ihres Fachs begeistert
noch von der Möglichkeit, sie an junge Menschen weitergeben zu dürfen. Zweitens : In der pädagogischen Ausbildung (insbesondere für
die weiterführenden Schulen) wird noch immer der Irrglaube genährt, es ginge
darum, Fächer zu unterrichten , statt Menschen zu unterrichten . Ein guter, begeisternder Unterricht
müsste sich an den individuellen Stärken und Schwächen, Talenten,
Neigungen und Abneigungen der Schülerinnen und Schüler orientieren.
Starre Standardisierungen, die alle Lernenden über einen Kamm scheren, sind
pädagogisch im höchsten Maße absurd, denn sie zerstören genau die kreativen
Potenziale, die eigentlich gefördert werden müssten. Drittens :
Unsere Bildungsinstitutionen (vom Kindergarten bis zur Hochschule) sind in der
Regel finanziell so schlecht ausgestattet, dass ein individuelles Lernen gar
nicht möglich ist. Hier müsste die Politik entschieden gegenlenken. Schließlich
lebt jede Demokratie von der Mündigkeit ihrer Bürger. Wer ausgerechnet an Bildung
spart, beweist damit nur eines: den bemerkenswerten Grad seiner eigenen
Verblödung.
Ein zentrales Manko unseres Bildungssystems darf in diesem
Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben: Noch immer steht das Erlernen
von Einzelfakten im Vordergrund – nicht das Verstehen
von Zusammenhängen . Den Schülerinnen und Schülern werden unsinnige
Mengen von Einzelfakten eingetrichtert, während sie bei der entscheidenden
Aufgabe, die darin besteht, diese isolierten Einzelfakten in
Beziehung zueinander zu setzen , kaum Orientierung erhalten. Doch Bildung bedeutet Zusammenhangswissen – heute mehr als je zuvor . Denn das Problem unserer Zeit
besteht ganz gewiss nicht mehr darin, Zugang zu detailliertem Faktenwissen zu
erhalten. Die große Herausforderung unserer Zeit ist es, in dem Meer von
Informationen, das uns ohnehin umgibt, nicht Schiffbruch zu erleiden. Wenn
Schülerinnen und Schüler mit fragmentiertem Wissen vollgestopft werden, als
gelte es, sie auf ein erfolgreiches Abschneiden bei Wer wird
Millionär? vorzubereiten, hat dies mit Bildung nichts zu tun.
Schließlich könnte jeder Depp mithilfe von Wikipedia die
»Ein-Millionen-Euro-Frage« beantworten. Bildung meint eben nicht, möglichst
viel fragmentiertes Wissen anzusammeln, sie äußert sich vielmehr darin, dass
man in der Lage ist, aus dem riesigen Wissensfundus, der uns zur Verfügung
steht, die richtigen, problemrelevanten Informationen auszuwählen.
Da das Bildungssystem an dieser wichtigen Aufgabe scheitert, sehen
viele Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten den
Wald vor lauter Bäumen nicht mehr . Sie verstehen weder, in welcher Beziehung die Inhalte eines Fachs zueinander stehen ,
noch begreifen sie, was diese Inhalte für die Inhalte
anderer Fächer bedeuten , und schon gar nicht wird ihnen bewusst, was diese Inhalte mit ihrem eigenen Leben zu tun haben könnten. Für die Lernmotivation ist dies nicht gerade förderlich. Daher
sollten Bildungsangebote grundsätzlich so konzipiert sein, dass sie diese
Zusammenhänge deutlich machen : Gleich zu Beginn einer Lerneinheit müsste
herausgestellt werden, warum es sich lohnt, sich mit dem
Thema zu beschäftigen. Sollte es nicht gelingen, die Relevanz eines
Themas aufzuzeigen, so ist dies ein sicheres Zeichen dafür, dass es nicht in
den Unterricht gehört. (Allenfalls könnte es in einem Spezialkurs behandelt
werden, an dem nur diejenigen teilnehmen, die sich dafür begeistern können.)
Rückt man auf diese Weise den Sinn des Lernens ins Zentrum des Lernens , so verändert sich
notwendigerweise das Verhältnis von Lehrenden und Lernenden :
Denn die Lehrenden können nicht mehr erwarten, dass die Lernenden alles
bedingungslos schlucken, was man ihnen vorsetzt, vielmehr müssen sie sich an
den Bedürfnissen der Lernenden orientieren. Die
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