Keine Panik Prinzessin
Grandmère redete und redete. Und redete. Und dann kam mein Vater ins Zimmer zurück und verkündete, er habe ihr eine Suite im Four Seasons reservieren lassen, worauf sie nach ihrer Zofe klingelte und zum dritten Mal in dieser Woche ihre Sachen packen ließ.
Und damit war der Prinzessunterricht für heute beendet.
Ich kann nur eins sagen: Gut, dass ich nicht für den Unterricht bei ihr zahlen muss. Die Qualität lässt in letzter Zeit nämlich deutlich zu wünschen übrig.
O Gott, was hab ich für Gedanken? Vielleicht bin ich ja dehydriert, die Symptome würden jedenfalls passen:
extremer Durst
trockener Mund, keine Speichelproduktion
trockene Augen, keine Tränenflüssigkeit
seltene Toilettengänge (drei oder weniger in vierundzwanzig Stunden), dunkel verfärbter Urin
Arme und Beine fühlen sich kühl an
starke Müdigkeit, Unruhegefühl, Reizbarkeit
Schwindelgefühle, die sich bessern, wenn man sich hinlegt
Das sind zwar Symptome, die ich immer bei mir beobachte, wenn ich eine gewisse Zeit mit Grandmère verbracht habe, aber ich trinke jetzt trotzdem vorsichtshalber mal sämtliche Wasserflaschen aus, die in dem kleinen Kühlschrank in der Limousine stehen. Sicher ist sicher.
Mittwoch, 8. September, zu Hause im Loft
Michael möchte vor seiner Abreise am Freitag noch lauter klassische New-York-Sachen mit mir machen. Heute Abend gehen wir in sein Lieblings-Hamburger-Restaurant, das »Cor ner Bistro« im West Village. Er findet, dass es dort die zweitbesten Burger der ganzen Stadt gibt.
Die besten gibt es bei »Johnny Rockets«.
Aber Michael geht aus Prinzip nicht zu »Johnny Rockets«, weil er etwas gegen Ketten hat. Er sagt, wenn man solche Unternehmen unterstützt, trägt man mit dazu bei, dass Amerika überall immer gleicher aussieht, weil die großen Ketten kleine Geschäfte und Restaurants auffressen. Dadurch verlieren die Städte ihr individuelles Gesicht, und Amerika verkommt zu einer einzigen großen Einkaufspassage, in der es nur noch Wal-Marts, McDonald’s, Starbucks und Gap gibt, und dann wird jede Stadt gleich aussehen, und Amerika ist irgendwann kein Schmelztiegel mehr, sondern ein Mayonnaiseglas.
Wobei ich weiß, dass Michael sich trotzdem von Zeit zu Zeit heimlich bei »Johnny Rockets« einen St. Louis-Burger und einen Schoko-Vanille-Milkshake reinzieht.
Als Vegetarierin kann ich natürlich an seiner Wallfahrt zum letzten perfekten Burger vor seiner Abreise in den Fernen Osten nicht so richtig aktiv teilnehmen. Aber dann esse ich eben Salat. Und Pommes.
Mom erlaubt mir ausnahmsweise unter der Woche abends wegzugehen, weil sie weiß, dass es die letzte Woche ist, die Michael und ich in derselben Hemisphäre verbringen. Mr G hat zwar den Mund aufgemacht und wollte wahrscheinlich etwas über meine Mathehausaufgaben sagen, aber da hat Mom ihm einen Blick zugeworfen, und er hat ihn wieder zugeklappt. Ich hab echt Glück, so coole Eltern zu haben.
Bis auf Dad. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass er meine geniale Idee, ein eigenes Roboter-Forschungslabor zu gründen, sofort verworfen hat, ohne auch nur darüber nachzudenken. Selbst schuld, kann ich da nur sagen. Michael erzähle ich übrigens lieber nichts davon. Noch nicht einmal, dass ich es Dad vorgeschlagen hab. Ich weiß nämlich nicht, ob er überhaupt bereit gewesen wäre, für meinen Vater zu ar beiten, wenn ich ihn dazu hätte überreden können, ein Roboterlabor zu gründen … weil er ja auch deswegen von hier weg will, damit er nicht die ganze Zeit an Sex denken muss.
Und dass Grandmère mir den Schlüssel zu ihrer Suite gegeben hat, erzähle ich ihm erst recht nicht. Ich weiß doch genau, woran er sofort denken würde, wenn er hören würde, dass ich eine ganze Hotelsuite für mich allein …
O
MEIN
GOTT.
Mittwoch, 8. September, im „Corner Bistro“
Ich muss ganz schnell schreiben. Michael ist gerade zur Theke, um uns noch ein paar Servietten zu holen. Ich hab keine Ahnung, wohin unsere Bedienung verschwunden ist. Hier geht es zu wie im Irrenhaus. Anscheinend steht der Geheimtipp mit den Burgern seit Neuestem in irgendeinem Reiseführer. Gerade hat ein Doppeldeckerbus von »Big Apple Tours« vor dem Laden gehalten und ungefähr hundert Touristen ausgespuckt, die sich jetzt hier im Restaurant drängeln.
Okay. Was ich schnell loswerden muss: Genau in dem Moment, als Michael bei uns geklingelt hat, um mich abzuholen, ist es mir plötzlich klar geworden. Was Grandmère wirklich gemeint hat, als sie mir den Schlüssel
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