Keine Pizza für Commissario Luciani
machen zu
lassen.
Er ging einen schmalen Pfad entlang, der sich zwischen Olivenbäumen über den Hügel zog und von der Hauptstraße aus nicht zu
sehen war. Dann stieg er eine steile Treppe hinab, die praktisch direkt zum Bahnhof führte. Aber als er auf die letzte Stufe
trat, wurde er von einem Kerl fast umgerannt. »Vorsicht!«, schrie dieser und schaffte es gerade noch, ihm seitlich auszuweichen.
»Scheißkerl!«, schrie Marietto ihm nach. »Verbrecher!« Der andere schien ihn nicht gehört zu haben, auf seinen langen Beinen
war er schon zehn Meter weiter. Einen Moment war die Gestalt dem alten Fischer bekannt vorgekommen, aber ihm fiel nicht ein,
woher. Er zuckte mit den Achseln, betrat den Bahnhof und löste eine Fahrkarte nach Rom.
|310| Zweiundfünfzig
Luciani und Ranieri
Ventotene, April
Der schwarze Himmel schleuderte immer noch Wind und Regen herab. Die ankernden Boote schaukelten auf dem Wasser, schauten
zu, wie die großen Wellen sich an der Barriere des Hafens brachen, und zitterten wie Hühner vor dem Fuchs, der mit gierigen
Augen den Zaun nach einem Schlupfloch absucht.
Die aufgewühlte See zu betrachten, das ist, wie wenn man ein Kaminfeuer anstarrt, dachte der Kommissar, während er das Schauspiel
vom Kirchplatz aus genoss. Man möchte gar nicht wieder aufhören. Er war vor wenigen Stunden auf Ventotene angekommen, der
einzige Tourist auf einer Fähre, die ein Dutzend Inselbewohner nach Hause zurückgebracht hatte und dem Sturm um Haaresbreite
entgangen war. Während es Abend wurde, hatte er sie Richtung Formia wieder ablegen sehen, und einen Moment lang hatte er sich
hilflos gefühlt, gefangen auf einer winzigen Insel, auf der er noch nie gewesen war und wo er niemanden kannte. Aber dieser
Gedanke wandelte sich sofort in Erleichterung: Wenn er nicht fortkonnte, so konnte auch niemand ihn dort erreichen. Weder
seine Mutter noch der Polizeichef oder die Presse. Nicht einmal die Kopfschmerzen, die, seit er die weizenfreie Diät einhielt,
verschwunden waren. Inzwischen verzichtete er eisern auf Pasta und Brot, nicht einmal vom Drängen Valerios hatte er sich korrumpieren
lassen, der ihn am Vorabend in eine echte römische Trattoria mitgenommen hatte. Als der Wirt Marco Luciani sah, hatte er sich
die Haare gerauft und Richtung Küche geschrien: »Schnell, schnell, |311| bringt sofort etwas zu essen, da ist einer, der verhungert mir gleich!«
Valerio war mit Irina aufgelaufen, einer brünetten Vertreterin der russischen Terrorabwehr, blaue Augen und Wahnsinnsfigur,
und er hatte sie den ganzen Abend mit seinen absurden Bemerkungen zum Lachen gebracht. Als er erfuhr, dass Luciani nach Ventotene
wollte, strahlte er übers ganze Gesicht: »Meine Großeltern waren aus Ventotene!« Danach empfahl er ihm eine Stunde lang Hotels,
Restaurants und Strände, um schließlich mit ernster Miene hinzuzufügen: »Und falls du da nicht nur zum Urlaubmachen hinfährst,
Lucio, denk dran, dass ich auf der Insel jedermann kenne. Ich weiß alles über jeden, und was auch immer du brauchst, egal
wann, du musst mich nur anrufen. Oder weißt du was? Wir kommen vielleicht gleich nach. Was meinst du, Irina? Wollen wir ein
Wochenende auf der Insel verbringen?«
Sie seufzte träumerisch und schmiegte sich an ihn, und an Marco Luciani nagte der Neid.
Aus einer Bar an der linken Ecke der Piazza kam ein Licht, das seine Gedanken von der Brünetten ablenkte. Das Lokal war gemütlich
und fast leer, der Barmann musterte ihn aufmerksam.
»Heute angekommen?«
»Genau. Was meinen Sie, wie lange das dauern wird?«, fragte er, nach draußen deutend und hoffend, der Mann würde antworten:
»Für immer.«
»Na, da werden Sie sich gedulden müssen«, sagte sein Gegenüber. »Ein paar Tage mindestens.«
Marco Luciani blickte enttäuscht drein. Der Barmann dachte, ihm dauere es zu lange.
»Trösten Sie sich, das ist zwar ein hübscher Sturm, aber gar nichts im Vergleich zum letzten Jahr, da ist der halbe |312| Hafen abgesoffen. Sehen Sie diese Piazza? Da stand einer von diesen großen Müllwagen, die das Altglas einsammeln. Das Meer
hat ihn sich geholt, als wäre er ein Spielzeuglaster.«
Der Kommissar nickte und stieg die Treppe zur Veranda hinab. Er suchte nach einem ruhigen Platz, von dem aus er die stürmische
See betrachten konnte. Ein freies Tischchen stand dort, und er wollte sich setzen, aber da baute sich ein hochgehantelter
Schönling in dunklem Anzug, schwarzer
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