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Keine Pizza für Commissario Luciani

Titel: Keine Pizza für Commissario Luciani Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Paglieri
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einem Podest mitten auf der zentralen
     Piazza der Stadt. Ich glaube auch, dass sie nach Ventotene geschickt wurde, um eben dort ihre Funktion zu erfüllen. Einer
     der römischen Kaiser, die ihre allzu lebhaften Töchter oder ihre Frauen dorthin verbannten, muss gemeint haben, dass die Sünderinnen
     vor dem Blick der Gerechtigkeit die Augen senken würden, bis zu dem Tag, an dem sie ihre Verfehlungen vollkommen einsehen
     würden. Ventotene ist immer die Insel der Gerechtigkeit gewesen, und ich träume davon, dieses Prinzip von hier aus nach ganz
     Italien zu tragen. Aus unserem Land endlich einen Ort mit allgemein akzeptierten Regeln zu machen, wo unsere Kinder in Frieden
     und Sicherheit leben können.«
    Der Kommissar gab sich Mühe zu nicken, auch wenn diese Wahlpropaganda ihn zu Tode langweilte. Er machte es noch ein paar Minuten
     mit, dann, bei der ersten passenden Pause, stemmte er seine hundertsiebenundneunzig Zentimeter vom Stuhl. »Sie werden gestatten,
     dass ich mich verabschiede, Herr Minister, aber ich habe seit drei Tagen kaum ein Auge zugetan und muss unbedingt ins Bett.«
    »Schlafen Sie gut, Herr Kommissar. Und erschrecken Sie nicht, wenn Ihnen die Sirenen erscheinen. Dies war ihre Insel, und
     wer zum ersten Mal hier nächtigt, wird oft von ihnen heimgesucht.«

|318| Dreiundfünfzig
    Marietto
    Unterwegs, 28. Dezember
     
    Sie waren hinter ihm her. Es waren viele. Sie bewegten sich schnell, unsichtbar. Er aber erkannte sie schon von weitem und
     konnte ihnen ausweichen. Der Mann mit der Zeitung. Der falsche Müllmann. Der Bettler. Zu gut gekleidet, um wirklich einer
     zu sein. Er hatte sie alle abgehängt. Er war schlauer als sie, war es immer gewesen. Die Jahre im Wald schärfen deine Sinne,
     verleihen dir einen besonderen Instinkt. Den Faschisten, den er getötet hatte, hatte er so drangekriegt. Er hatte ihn zuerst
     entdeckt, während dieser durch die Schlucht hochstieg, und war in einem weiten Bogen in seinen Rücken gelangt. Er hatte ihn
     eine Weile im Auge behalten, und als der Faschist stehen geblieben war, um sich zu erleichtern, war er aus der Macchia hervorgesprungen
     und hatte ihm drei Schüsse verpasst: Bum, bum, bum. Den ersten in den Rücken, die beiden anderen in die Brust. Dasselbe wollte
     er mit dem Schaffner machen. Als er ihn kommen sah, die Hand in der Umhängetasche, schlossen sich seine Finger um den Griff
     der Pistole in seiner Parkatasche. Kurz bevor Marietto schießen konnte, hatte der andere dann eine Art Taschenrechner aus
     dem Beutel gezogen. Falscher Alarm. Der Kerl hatte seine Fahrkarte abgestempelt, ohne ihn richtig anzusehen. Offensichtlich
     war sein Fahndungsfoto noch nicht an die Polizeistellen gegangen.
    Es reicht, wenn ich sie noch einen Tag zum Narren halte, sagte er sich immer wieder. Nur einen Tag. Er schaute aus dem Fenster,
     sie waren gerade durch Civitavecchia gekommen, Rom war nicht mehr weit. Dort würde er den Schaffner bitten, seine Fahrkarte
     bis Formia zu verlängern, |319| wo er übernachten wollte, um am nächsten Morgen die erste Fähre nach Ventotene zu nehmen. Das Tempo war entscheidend, er musste
     sich auf den Feind stürzen, wenn dieser meinte, er sei noch Hunderte Kilometer entfernt. Napoleon hatte durch die Raschheit
     und Unvorhersehbarkeit, mit der er seine Truppen bewegte, ein Imperium erschaffen. Und auch die Faschisten würden nie auf
     die Idee kommen, dass er das Heim verlassen könnte, um sie ausgerechnet auf ihrem eigenen Territorium zu stellen.
     
    Der Wind kräuselte das Meer an diesem späten Dezembertag, hin und wieder spritzte ein wenig eisige Gischt aufs Deck. Es war
     kalt, und die beiden einzigen Passagiere außer ihm auf der Fähre von Formia nach Ventotene hatten sich sofort in die Kabine
     geflüchtet, Marietto aber hatte es vorgezogen, draußen zu bleiben. Er spürte gerne das Salzwasser auf der Haut, liebte den
     Geruch des Meeres, der sich mit den Kerosinschwaden mischte. Zu seiner Linken erhob sich drohend die Insel mit ihren unzugänglichen
     Felswänden, der Silhouette des Gefängnisses, dessen Fassade genauso zerfurcht war wie sein Gesicht. Da wären wir wieder, dachte
     er, vierzig Jahre später. Zwei alte Ruinen, die sich nicht geschlagen geben wollen.
    Fünf lange Jahre hatte er in diesem Gefängnis verbracht, er kannte dort jede Zelle, jeden Riss in der Wand. Als der Krieg
     endete, war Giuseppe fünfzehn Jahre alt gewesen. Er hatte seine erste Frau gehabt und seinen ersten Mann getötet. Er

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