Keine Pizza für Commissario Luciani
hatte
gestohlen, um zu essen, gelogen, um zu überleben, er hatte Männer gesehen, die die heroischsten Taten vollführten und die
schäbigsten. Nichts taugt so gut wie der Krieg, um einen Menschen zu beurteilen, um bei jedem von uns den besten oder schlechtesten
Zug zum Vorschein zu bringen. Dein engster Freund kann dich verraten, dein größter Feind kann dir die Haut retten.
|320| Er meinte damals, er wüsste nun alles vom Leben, aber er hatte sich getäuscht. Das Gefängnis hatte er noch nicht erlebt. Dort
hatte er gelernt, was Leiden und Ungerechtigkeit wirklich bedeuteten. Es gab Dinge, die schlimmer waren als die Angst vor
dem Tod und wozu sie einen trieb. Denn im Grunde starb man auch im Krieg nur einmal; selbst wenn man mit den Eingeweiden in
der Hand starb, heulend und nach der Mutter schreiend, so starb man doch einen Heldentod, fürs Vaterland, für ein Ideal. Oder
zumindest konnte man sich dieser Illusion hingeben. Im Gefängnis dagegen lebte und starb man würdelos, man war kein menschliches
Wesen mehr, sondern Fleisch ohne Seele, das getreten, zerstückelt und verbrannt werden durfte. Verdorbenes Fleisch, das keiner
reklamieren würde.
Er ging hinunter nach Ventotene, die Mütze tief ins Gesicht gezogen und den Jackenkragen hochgeschlagen. Kaum jemand konnte
ihn wiedererkennen, nach all den Jahren. Sein Haar war jetzt grau, er war abgemagert und geschrumpft, und wahrscheinlich war
von seinen alten Kameraden keiner mehr auf der Insel. Trotzdem war es besser, vorsichtig zu sein.
Er musste vom Zentrum weg und sich irgendwo bis zum Abend verstecken. Bei Einbruch der Dunkelheit würde er dann versuchen,
nach Santo Stefano zu gelangen. Wie, das hatte er noch nicht entschieden. Am einfachsten war, sich ein kleines Boot »auszuleihen«
und lautlos wegzurudern. Wenn das Meer ihm hold war, konnte er in vier oder fünf Stunden die Insel erreichen, den Schatz holen,
vor der Morgendämmerung nach Ventotene zurückkehren und das Boot wieder an seinen Platz bringen. Der Eigentümer würde es nicht
einmal merken, und mit der ersten Fähre wäre er schon wieder weg, würde durch die Maschen des von den Faschisten ausgelegten
Netzes schlüpfen, wie er es im Krieg in den Bergen Liguriens gemacht hatte.
|321| Vierundfünfzig
Luciani
Ventotene, April
Er betrat sein Hotelzimmer und zuckte zusammen, als er auf dem Bett eine Gestalt liegen sah. Er wich instinktiv einen Schritt
zurück, erkannte aber sofort Sofia Lanni. Sie saß gegen das Kopfteil gelehnt, ein Kissen im Rücken, das Haar hochgesteckt.
Ihre langen nackten Beine waren angewinkelt und stützten das Buch, das sie las. Sie trug Marco Lucianis Pyjamaoberteil und
lugte ihn von unten her durch ihre rechteckige Lesebrille an. Diese Pose der versauten Intellektuellen hatte ihn immer um
den Verstand gebracht.
»Marco. Das hat aber gedauert.«
»Was machst du denn hier? Wie bist du hereingekommen?«
Sie lächelte. »Ich habe dem Portier gesagt, dass ich deine Verlobte bin.«
»Aber woher wusstest du denn …«
»Ich habe es ihr gesagt.« Eine weitere Frau war durch die Badtür ins Zimmer gekommen. Sie trug einen hellblauen Morgenmantel,
die langen blonden Haare, vom Wasser gekräuselt, fielen über Hals und Schultern.
»Aber, sind Sie nicht …«
»Sabrina Dongo. Sehr erfreut«, sagte das Mädchen und streckte ihm die Hand hin.
Marco Luciani drehte sich zu Sofia um, sein Gesicht war ein einziges Fragezeichen.
»Keine Angst, ich werde dir alles erklären«, sagte sie lächelnd. Sie hatte sich auf das Bett gekniet, Sabrinas Hand ergriffen
und sie neben sich Platz nehmen lassen. »Wie ich dir gesagt habe, sind wir Kolleginnen. Kopfgeldjägerinnen. |322| Frauen kommen weiter als Männer, und zwei Frauen kommen weiter als eine allein.«
Sie strich eine blonde Haarsträhne von Sabrinas Wange, die ihren Hals leicht zur Seite neigte, so dass Sofia ihre Lippen darauflegen
konnte. Sabrina schloss die Augen, während die Freundin sie küsste, ein bisschen an ihrem Ohr knabberte und es mit der Zunge
erforschte. Marco Luciani stand wie vom Donner gerührt und konnte die Augen nicht von Sofias Mund lassen, der dem von Sabrina
immer näher kam. Ihre Zungen schossen jetzt hervor, tauschten Zärtlichkeiten, und dieses Schauspiel war allein für ihn bestimmt.
Ich träume, ein Traum wird wahr, dachte er, während Sabrina Sofias Pyjamaoberteil aufknöpfte und Sofia ihr den Bademantel
von den Schultern zog. Ihre
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