Keine Pizza für Commissario Luciani
ein Damenmodell oder vielleicht nur ein besonders modisches.
»Kommen Sie herein, Commissario«, sagte er, »ich hatte Ihren Besuch erwartet, allerdings nicht vom Meer her.«
»Das war Zufall. Ich wusste nicht, dass Sie hier wohnen. Ich drehte gerade eine Runde um die Insel, sah diesen Traumstrand
und konnte der Versuchung nicht widerstehen zu baden. Ich weiß, dass es verboten ist, aber …«
Ludovico Ranieri zuckte mit den Achseln: »Nicht der Rede wert. Sorgen Sie lieber dafür, dass Sie sich nicht erkälten.«
Er gab ihm ein Handtuch und ging voraus ins Haus. »Wir sind hier im Souterrain«, sagte er und stieg eine Treppe hinauf, die
ins Freie führte, auf einen großen Vorhof, der sich an die Villa anschloss. Stieg man von dort noch ein paar Stufen höher,
kam man auf die Terrasse über dem Meer. »Setzen Sie sich«, sagte er und deutete auf einen gedeckten Tisch aus dunklem Rattan,
mit dazu passenden Stühlen und einer Liege. Er stand mitten auf der riesigen Terrasse, unter einem ausladenden weißen Sonnenschirm.
Ich habe gerade gefrühstückt. Kann ich Ihnen etwas anbieten? Auch wenn ich eigentlich böse auf Sie sein müsste …«
Marco Luciani zitterte vor Kälte, und ihm war noch schlecht vor Höhenangst, aber kaum saß er, fühlte er sich besser. »Böse
mit mir?«
»Ich habe erfahren, dass Sie nach Santo Stefano gefahren sind.«
»Sofort haben Sie mich ertappt. Als Verbrecher wäre ich eine Null«, antwortete er mit gespieltem Schuldbewusstsein.
|350| »Ich sage das nur, weil ich Sie gerne begleitet hätte. Auf die Insel und bei der Besichtigung des Gefängnisses. Ein Wort hätte
genügt.«
»Sie haben recht. Aber neulich abends hatte ich angedeutet, dass ich es sehen wollte. Sie hatten nichts darauf erwidert, deshalb
dachte ich, Sie wären damit nicht einverstanden.«
Der Minister nickte. »Folglich meine Schuld. Ich hätte mich als Führer anbieten sollen.«
»Außerdem wären wir, wenn das Schlauchboot, das ich da unten gesehen habe, Ihnen gehört, in zwei Minuten dort gewesen. Und
ich wäre nicht seekrank geworden.«
»Oh, das ist nur ein kleines Beiboot, um ein bisschen in der Umgebung herumzuschippern.«
»Man bräuchte ein richtiges Boot.«
»Das habe ich im Hafen liegen«, sagte Ranieri lächelnd.
»Traumhaft. Ich liebe Boote«, log der Kommissar. »Wie lang ist es denn?«
»Nichts Besonderes, eine Vierzehn-Meter-Yacht. Wir mögen es auf dieser Insel nicht, wenn man protzt. Sie ist aber mit zwei
500-PS-Motoren bestückt. Dreißig Knoten erreicht sie spielend.«
»Sapperlot. Aber klar, wenn’s da ans Volltanken geht …«
»Ach ja, ich weiß. In den Tank gehen zweitausend Liter. Andererseits sage ich immer: Schöne Dinge haben eben ihren Preis,
und das betrifft nicht einmal so sehr die Anschaffung wie ihre Unterhaltung. Sie haben mir aber nicht gesagt, ob Sie einen
Kaffee möchten. Oder einen Tee?«
»Einen Tee sehr gerne.«
Der Minister gab ihn bei der Hausdame in Auftrag, schenkte sich noch einen Espresso ein und ging wieder zum Angriff über.
»Und, was halten Sie von der Insel? Und vom Gefängnis?«
|351| »Die Insel ist traumhaft, das Gefängnis ist … ich weiß nicht. Auf der einen Seite herrlich, auf der anderen beklemmend.«
»Bedenken Sie, dass es aus dem späten 18. Jahrhundert stammt. Gefängnisse waren damals nicht sehr anheimelnd.«
»Keine Frage. Es gibt aber unnötige Grausamkeiten. Wie zum Beispiel die Fenster nach draußen, durch die man das Meer nicht
sehen kann. Im Grunde hätte man sich auf einer Insel allein damit trösten können, dass man Himmel und Meer sah.«
Der Minister schwieg einen Moment, um nach den richtigen Worten zu suchen, auch wenn er diesen Vortrag schon oft gehalten
hatte.
»Sehen Sie, Commissario, das Zuchthaus von Santo Stefano ist eine einzigartige Verschmelzung von Philosophie, Kunst und Architektur,
wo nichts dem Zufall überlassen ist. Ich könnte einwenden, dass es die Strafe verschlimmern könnte, statt zu lindern, wenn
man jeden Augenblick das Meer, den Himmel, die verlorene Freiheit vor Augen hat. Dies hängt jedoch vom Geist des Einzelnen
ab. Sicher aber hätten Fenster, die sich nach draußen öffnen, den Häftling von seiner Hauptaufgabe abgelenkt, nämlich seine
Strafe zu verbüßen.«
»Inwiefern?«
»Wir sagen immer, dass die Strafe dem Gefangenen zur Buße auferlegt wird. Dies bedeutet für mich, dass das Gefängnis dem Sträfling
helfen muss, über sein Vergehen nachzudenken,
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