Keine Pizza für Commissario Luciani
Stattdessen wird er zum Tode verurteilt,
und es ist allein der Todeserwartung zu verdanken, der Tatsache, dass er im Morgengrauen des Folgetages sterben wird, dass
Sean Penn am Ende über das nachdenkt, was er getan hat, dass er seine Schuld einsieht und zugibt und schließlich fähig wird,
die Eltern der jungen Leute, die er umgebracht hat, um Vergebung zu bitten. Bitte, dieser Mann ist durch das Tor der Todeszelle
ans Tor des Himmelreichs gelangt.«
»Und wer nicht an Gott glaubt?«, fragte Marco Luciani.
»Wer nicht an Gott glaubt, der glaubt nicht an den transzendenten Wert des Lebens. Folglich dürfte er auch bei der Todesstrafe
keine Skrupel haben.«
Sie tranken ihren Tee und ihren Kaffee und genossen eine Weile das Panorama. Doch während der Minister die Insel Santo Stefano,
das Zuchthaus, den von niedrigen Wolken schraffierten azurblauen Himmel vor Augen hatte, sah der Kommissar endlich das fertige
Bild, in dem nur noch einige kleine Details, einige Schattierungen fehlten.
»Und Sie meinen, dass man dieses Gebäude wirklich wieder nutzen kann? Als Gefängnis, meine ich.«
»Dessen bin ich mir sicher. Seine Konzeption ist absolut modern, sie muss nur in technologischer Hinsicht auf den neuesten
Stand gebracht werden. Das Auge Gottes kann heute, dank der Überwachungskameras, unser aller Auge sein.«
Der Minister stand auf, lehnte sich an die Brüstung und redete weiter, den Blick auf die gelbliche Silhouette des Gefängnisbaus
in der Ferne gerichtet.
»Wollen Sie wissen, wovon ich träume, Commissario? |355| Justizminister zu werden und auf diesem Gebiet eine kopernikanische Revolution zu bewirken. Wir brauchen neue Gefängnisse,
mit neuem Konzept. Oder besser gesagt, mit altem Konzept, aber durch moderne Technologie perfektioniert. In Santo Stefano
konnte man von einem einzigen Punkt aus in das Innere aller Zellen blicken. Er war das Auge der Justiz, dem sich der Verurteilte
nicht einen Moment entziehen konnte. Ich will bei Santo Stefano anfangen, will es sanieren, nicht um es, wie viele geschrieben
haben, in ein Touristenparadies zu verwandeln, sondern um es wieder seiner ursprünglichen Funktion zuzuführen. Es wird wieder
ein Gefängnis sein, nichts sonst. Ein modernes Gefängnis mit sauberen Zweier- oder höchstens Dreierzellen, mit Gemeinschaftsaktivitäten,
mit der Möglichkeit, oder besser, der Pflicht der Häftlinge, zu arbeiten, um sich zu erhalten und zum Wohl der Gemeinschaft.
Wir werden wieder die Weinberge anlegen, die Felder und die Werkstätten. Es wird in allen Gemeinschaftsbereichen und in jeder
Zelle Kameras geben. Die Angehörigen der Opfer werden kostenlosen Zugang haben, alle anderen Interessenten werden dafür bezahlen.
Alle werden alles beobachten können: Keine korrupten Wärter mehr, keine krummen Geschäfte, keine Handys oder Drogen. Nur Arbeit
und Besinnung auf die eigenen Verfehlungen. Eine Strafe, die wirklich darauf abzielt, den Verurteilten zu resozialisieren,
und die jedem als Warnung dient, der mit dem Gedanken liebäugelt, ein Verbrechen zu begehen.«
»So etwas wird niemals funktionieren«, sagte der Kommissar. »Die Häftlinge werden das nie akzeptieren.«
»Glauben Sie nicht? Ich wüsste nicht, warum. Vor einer Kamera versuchen wir alle, demjenigen zu gefallen, der dahinter steht,
indem wir ihm das geben, wovon wir glauben, dass er es von uns erwartet. Wie sagte Jeremy Bentham, der Philosoph, der das
Panopticon untersuchte? Es garantiert |356| die Herrschaft eines Bewusstseins über ein anderes Bewusstsein. Das schwächere wird am Ende die Wünsche des stärkeren befriedigen.«
Er dachte an seine Studentinnen zurück, daran, wie er sie, nach den ersten Intimitäten, fragte, ob er sie filmen dürfe. Einige,
genau genommen: die wenigsten, lehnten entschieden ab, andere dagegen stimmten zu, weil sie es als Spiel oder eine Gefälligkeit
ansahen. Wenn die Kamera lief, wurden sie schnell zu völlig anderen Menschen, sie bewegten sich wie die Frauen, die sie im
Fernsehen gesehen hatten, sie passten sich dem Bild an, das das Publikum von ihnen erwartete. Der Kommissar schwieg. Dieser
Mann war vielleicht gefährlicher, als er dachte, und nicht nur, weil er Minister der Republik war.
»Sie reden von Justiz, Herr Minister. Aber ich verstehe nicht recht, welche Justiz Sie meinen. Die der Menschen? Die Gottes?
Oder Ihre persönliche?«
»Ich bin ein gläubiger Mensch, Herr Kommissar. Ich bin überzeugt, dass die
Weitere Kostenlose Bücher