Keine Pizza für Commissario Luciani
solchen Ausrutscher gewartet, und so
wurde dem Gefängnisleiter das Vertrauen, das er in die Häftlinge gesetzt hatte, zum Verhängnis. Giuseppe Risso kündigte, bevor
der neue Direktor kam, und blieb noch einige Zeit als Fischer in Ventotene. Er wollte warten, bis das Gefängnis geräumt würde
und er seinen kleinen Schatz holen konnte. Allerdings fand er nicht den Mut dazu. Ein ums andere Mal schob er es auf, weil
er sich noch nicht bereit, dieser Ehre noch nicht würdig fühlte. Erst als die Göttin ihm erschien, aus den Tiefen der See,
wusste er, dass der Zeitpunkt gekommen war.
Er hatte selbst bei der Tätowierung das Datum der Entlassung aus dem Gefängnis, 1965, hinzugefügt, in der Hoffnung, dies markiere
den Anfang seines neuen Lebens. Aber erst nach dem Fund der Themis und der Rückkehr nach Camogli hatte er wirklich ein neues
Kapitel aufgeschlagen. Er nannte sich nicht mehr Giuseppe, sondern hatte einen Kampfnamen angenommen, Marietto. Er war kein
orientierungsloser Jüngling mehr, sondern ein Mann, der gekämpft hatte, der Prinzipien und viele Geschichten aus dem Krieg
zu erzählen hatte. Kein Mensch steht über dem anderen, hatte Mario ihm gesagt, die Ideale sind es, die uns besser machen,
und sie an die weiterzugeben, die nach uns kommen, ist die authentischste und sinnvollste Form der Unsterblichkeit. Sein Freund
lebte noch immer in ihm, er war inzwischen Teil seiner selbst, denn im Herzen eines Menschen ist immer Platz für einen anderen.
Er hob die Augen zum Kreuz, sie waren mit Tränen verhangen, und deshalb konnte er, im dämmrigen Schein der Lampen und Kerzen,
die Gestalt nicht klar erkennen, die vor dem Altar gekniet hatte und jetzt auf ihn zukam.
|344| Er fuhr sich mit dem Jackenärmel über die Augen und sah einen kleinen Mann mit grauem Haar und Schnurrbart, der ihn zuerst
zweifelnd, dann ungläubig betrachtete. Schließlich verzog sich sein Mund zu einem zahnlosen Lächeln: »Genueser?!«
|345| Neunundfünfzig
Luciani und Ranieri
Ventotene, April
»Scirocco und Levante, die geben dir die Kante.« Der Schiffer stand aufrecht; ohne zu straucheln, hielt er mit einer Hand
das Ruder, während ein einigermaßen verängstigter Kommissar sich am Bootsrand festklammerte und jedes Mal, wenn sie über eine
Welle fuhren, den Atem anhielt. Er war am Morgen aufgestanden und, ohne zu frühstücken, hinunter an den Hafen gegangen, seinem
Magen schien das aber nicht zu helfen.
»Das nervt nur ein bisschen, bis wir in Calanave ankommen. Sie werden sehen, danach ist das Meer ruhig.«
Wenn wir ankommen, dachte Marco Luciani, der einfach nicht begriff, wie das Boot so herumtanzen konnte, ohne zu kentern.
»Gibt es eine besondere Stelle, zu der Sie wollen?«, fragte der Bootseigner. Er war sehr freundlich, vor allem seit Luciani
Valerios Namen erwähnt hatte.
»Nein, ich würde gern die Insel umrunden. Um mir einen Begriff zu machen. Um zu sehen, ob es irgendeinen Badestrand gibt.«
»Es gibt ein paar. Aber nicht viele. An einigen ist das Anlegen verboten, wegen des Steinschlags.«
Sie passierten die Lücke zwischen den Felsen, die den Eingang zum Calanave markierten, dem beliebtesten Strand der Insel.
Marco Luciani hatte am Vortag einen Spaziergang dorthin gemacht, aber keine interessanten Spuren gefunden. Außerdem lag der
Strand genau unter der Piazza des Dorfes, an der viele Wohnhäuser und Hotels standen. Er brauchte etwas Abgelegeneres, das
nur auf dem |346| Wasserweg zu erreichen oder von der Straße aus nicht einzusehen war.
Die See war hier wirklich viel ruhiger, der Kommissar konnte sich endlich entspannen und die Schönheit der Insel genießen.
Gelber Tuffstein, von Meer und Wind bizarr geformt, und dunkler Basalt aus der lange zurückliegenden Eruption eines Vulkans.
Was von dem Kegel übrig war, bildete den Gipfelpunkt auf Ventotene, der Rest war eine gewaltige Lavaschicht, auf der eine
extrem artenreiche Vegetation gewachsen war.
Marco Luciani war gerade erst angekommen, aber die Atmosphäre der Insel hatte ihn sofort gefesselt. Man wurde höflich und
zwanglos aufgenommen, die wenigen Touristen, die er traf, liefen in Jeans und Pullover herum. Kein In-Lokal, keine Protzerei,
nur der Wunsch nach ein bisschen Ruhe.
Der Schiffer steuerte das Boot und erzählte von vergangenen Zeiten, vom Fischfang, von der Jagd, von der Tatsache, dass Ventotene
vor dem Tourismusboom eher von seinem Ackerland als vom Meer gelebt hatte.
Sie
Weitere Kostenlose Bücher