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Keine Pizza für Commissario Luciani

Titel: Keine Pizza für Commissario Luciani Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Paglieri
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sich auf sich selbst zu besinnen, auf den Ort, an dem er sich befindet, auf
     das, was er da drinnen tun kann, statt seine geistigen Energien an das zu verschwenden, was er hinter sich gelassen hat, an
     die Außenwelt, an seine Freiheitsträume.« Er schlürfte ein wenig Kaffee und fuhr fort. »Ihre Miene verrät mir, dass Sie nicht
     überzeugt sind, Commissario. Und deswegen hätte ich für Sie auf |352| Santo Stefano gerne den Führer gespielt. Unser Buchhändler ist klug und belesen, aber ich glaube nicht, dass er Ihnen von
     der esoterischen Bedeutung gesprochen hat, die sich in der Struktur des Gefängnisbaus verbirgt. Von der Gnosis.«
    »Offen gestanden, nein«, sagte Marco Luciani.
    »Eben. Es heißt, der Baumeister, Francesco Carpi, sei ein glühender Freimaurer gewesen. Der Beweis lässt sich durch seinen
     Baustil erbringen: Am Eingang der Insel stehen zwei Säulen, die an die Freimaurertempel erinnern, welche wiederum vom Tempel
     König Salomons inspiriert sind. Es sind fünfzehn Stufen hinauf zum Weg, so wie es fünfzehn Stufen sind, die der Initiierte
     zu überwinden hat, um in den Rang des Meisters aufzusteigen. Die drei Etagen mit Zellen und die dreiunddreißig Zellen je Stockwerk
     berufen sich auf die Kabbala und die Vollkommenheit der Dreieinigkeit. Der Grundriss des Gefängnisses entspricht dem Omega,
     dem letzten Buchstaben des griechischen Alphabets, dem Ende des weltlichen Daseins und dem Beginn des Wegs zur Erlösung. Carpis
     Hoffnung war, dass die Menschen, die dort eintraten, einen Weg der Buße und Erlösung gehen könnten. Vor allem Erlösung von
     sich selbst. Deshalb wird das Licht so eingesetzt, dass es die Zellen von oben erleuchtet, wie das Licht Gottes, ohne dass
     man es direkt anblicken könnte. Das Auge Gottes, die Zentralkapelle, ruht permanent auf den Gefangenen, und dessen müssen
     sie sich bewusst sein. Die Zuwendung zum eigenen Inneren, auf das eigene Gewissen hin, ist fundamental.«
    »Das ist interessant«, räumte Marco Luciani ein, »aber wie viele der Gefangenen konnten einen so hohen Bewusstseinsgrad erreichen?
     Ich glaube, dass die meisten unter der Strafe litten, nichts sonst. Die Liegen zum Festschnallen, die Prügel, die Dunkelheit,
     die Stockschläge, ich glaube nicht, dass die zu höherem Bewusstsein führten.«
    »Das kommt darauf an, Commissario. Heute erscheinen |353| uns auch sie als pure Grausamkeit. Dies ist aber nur der x-te Beweis für den Verlust unserer christlichen Wurzeln. Nur in
     unserer Epoche wird das Wort ›Leiden‹ meist mit dem Adjektiv ›sinnlos‹ gepaart. Dies war früher nicht so, im Gegenteil. Man
     war der Ansicht, dass das Leiden stärkt, zur Reife führt. Ich sage nicht, dass man es absichtlich herbeiführte, es wurde aber
     auch nicht so obsessiv gemieden.
Virescit vulnere virtus
, sagten die Lateiner, das Leiden erhebt uns. Das Leiden war ein Opfer, das man Gott brachte, es ließ auf einen Lohn hoffen,
     und oft kam dieser Lohn sofort, indem das Leiden aus dem, der gelitten hatte, einen besseren Menschen machte. Versuchen Sie
     diesen Aspekt zu berücksichtigen, und Sie werden sehen, dass das Gefängnis von Santo Stefano ein perfekter Entwurf war. Da
     drinnen spürt man Gottes Präsenz gehörig. Klar, dass es dann am Häftling war, ein besserer Mensch zu werden.«
    »Wenn er lebendig herauskam.«
    Der Minister tat den Einwurf mit einer Handbewegung ab. »Das macht keinen Unterschied, Commissario. Der Tod kann uns jeden
     Augenblick ereilen, und wir müssen immer bereit sein. Der spirituelle Weg hat einen Wert an sich, er ist nicht an die Freilassung
     am Ende gebunden. Als meine Studenten Einwände gegen die Todesstrafe hatten, führte ich oft als Beispiel den Film ›Dead Man
     Walking‹ an, den mehr oder weniger jeder kennt.«
    Marco Luciani nickte.
    »Nun, der wird im Allgemeinen als Film gegen die Todesstrafe gesehen. Meiner Meinung nach ist er gerade deshalb so herausragend,
     weil er für die Todesstrafe plädiert. Sean Penn ist der klassische Mörder ohne Reue, der stur seine Schuld leugnet und sich
     als Opfer eines Komplotts sieht. Er ist ein asozialer junger Mann, dem positive Wertvorstellungen fehlen, der aus niederen
     Beweggründen einen grausamen Mord begangen hat. Er ist völlig unfähig, |354| das Leiden der anderen nachzuempfinden. Wenn man ihn zu lebenslanger Haft verurteilen würde, käme er nach dreißig Jahren aus
     dem Knast und wäre höchstwahrscheinlich dasselbe narzisstische Arschloch wie vorher.

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