Keine Pizza für Commissario Luciani
der Schwebe haltend, dann legte er ihn
mit jovialer Geste beiseite.
»Wenn Sie so viel Wert darauf legen, Commissario … Jeder kann mit seiner Zeit machen, was er will. Solange er andern nicht
die Zeit stiehlt. Stellen Sie Ihre Nachforschungen an, ich will davon nichts wissen, und vor allem will ich nicht mit Anträgen
behelligt werden. Denken Sie daran, dass ich zum Monatsende, wenn es nichts Neues gibt, den Fall abschließe«, sagte er und
stempelte mit Verve ein leeres Blatt Papier.
Am Nachmittag ging Marco Luciani hinunter in den Ort. Er war fest entschlossen, mit einem Immobilienmakler zu reden, der in
seinem Tennisclub in Bogliasco spielte. Er musste den Rat eines Freundes einholen, wenn er Villa Patrizia verkaufen und für
seine Mutter etwas Kleineres erwerben wollte, etwas, das leichter zu unterhalten war. Aber kaum stand er vor dem Schaufenster,
spürte er in der Kombination der Wörter »Freund« und »Immobilienmakler« |167| einen gewissen Widerspruch. Noch dazu war der Typ einer von der Sorte, die auf dem Tennisplatz korrekt waren, solange es 1:5
oder 5:1 hieß, aber wenn das Match auf Messers Schneide stand, dann legte er umstrittene Bälle immer für sich aus. Wer dich
auf dem Spielfeld linkt, linkt dich auch außerhalb, sagte sich der Kommissar.
Vielleicht war es keine gute Idee, das Haus zu verkaufen, vielleicht war es besser, alles noch einmal zu überdenken. Er blieb
auf dem Kirchplatz stehen, mit dem Rücken zur Bar, in der die Geschichte mit Sofia Lanni begonnen hatte. Jedes Mal wenn er
hier vorbeikam, musste er an sie denken. Um genau zu sein, nicht nur, wenn er hier vorbeikam.
Auch in der Nacht, als sie zusammen nach Camogli gekommen waren, hatte es wie verrückt gegossen, und dann war ein klarer,
heiterer Morgen aufgezogen. Sicher, das war im Mai gewesen, nicht im Januar, aber auch jetzt war es schön hier, nein, es war
sogar noch schöner, weniger Touristen, weniger Chaos, das Dorf war fast wieder wie früher. Die Temperatur war angenehm, der
Kommissar zog sogar seinen Anorak aus und lief in Hemd und Pullover herum. Er blieb vor dem kleinen Fischereihafen stehen,
in dem es vor Booten wimmelte, davor die Fassadenfront aus bunten Häusern, die in der Sonne strahlten, als wären sie alle
frisch gestrichen. Es war nur zu verständlich, dass sein Vater so an diesem Ort gehangen hatte und dass seine Mutter nie von
hier würde fortgehen können. Vielleicht konnte man versuchen, Villa Patrizia zu behalten und in eine stete Einnahmequelle
zu verwandeln. Einen Teil zu vermieten oder in einen
Agriturismo
umzubauen. Noch war er aber nicht bereit, sich aufs Land zurückzuziehen und sich um den Gemüsegarten zu kümmern. Er war gerade
mal achtunddreißig und ein Ermittler, genau genommen sogar ein exzellenter Ermittler. Er musste seinen Weg gehen, den kleinen
Samen in seinem Inneren hegen, der inzwischen |168| gekeimt und sich in einen kleinen Baum verwandelt hatte. Es war nicht richtig, dass er seine Berufung vernachlässigte, um
seine Mutter zu versorgen. Er würde die Wohnung von Großvater Mario verkaufen und eine Einzimmerwohnung in Genua erwerben,
vielleicht sogar am Meer. Eine traditionsbewusste, sichere, solide Wahl, wie der Name seines Großvaters und des alten Fischers.
Seine Mutter würde ein bisschen ihre Ausgaben reduzieren müssen, aber sie würde es schaffen. Während er mit wenig über die
Runden kommen würde, wie immer. Er war allein, trug weder für Frau noch Kind Verantwortung und hatte keine kostspieligen Laster.
Und dabei sollte es bleiben.
Während er über die anstehenden Entscheidungen nachgrübelte, war er bis an den Strand gegangen, hatte sich einen Meter vor
der Wasserlinie hingesetzt und den Blick aufs Meer gerichtet. Dann hatte er völlig unbewusst angefangen, den Kies mit der
Hand glattzustreichen, wie in Kindertagen. Die monotone Rotationsbewegung des Armes beruhigte ihn, hin und wieder fokussierten
seine hypnotisierten Augen ein einzelnes Steinchen von besonderer Form oder Farbe, das er dann aus dem Chaos hob und in die
Ehrenriege überführte: eine Reihe von Kieseln auf seinem linken Oberschenkel. Marco Luciani hatte auch angefangen, die Glasscherben
herauszulesen, ein Automatismus, der ebenfalls aus seiner Kindheit stammte. Irgendwo im Haus seiner Eltern waren vermutlich
noch die Eimer und Gläser, in denen er sie gesammelt hatte. Er fand ein weißes, fast vollkommen rund geschliffenes
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