Keine Pizza für Commissario Luciani
des
Mannes aus Taranto, den lüsternen und selbstsicheren des Kalabresers. Und den Genueser, der sich ein wenig abseits hielt,
alle beobachtete und nie redete. Der sechste Mann, der auf der Ersatzbank blieb, die Schwachstellen seiner Kameraden und Gegner
studierte, und wenn er aufs Feld auflief, erzielte er den alles entscheidenden Treffer.
|164| Sechsundzwanzig
Luciani
Genua, heute
Im Büro des Staatsanwalts herrschte eine hochexplosive Atmosphäre. Die beiden konnten einander einfach nicht ausstehen.
»Entschuldigen Sie, aber warum haben Sie es so eilig, den Fall abzuschließen?«, wiederholte Marco Luciani. »Sie selbst hatten
angeordnet, sämtliche Fakten zu überprüfen, nichts auszulassen.«
»Und das haben Sie getan, Commissario. Aber jetzt scheint es mir nicht angezeigt, weiter zu insistieren. Ich habe so schon
genug Arbeit, da brauche ich mir nicht noch eine sinnlose Untersuchung aufzuhalsen«, sagte Staatsanwalt Sasso.
»Ich will ja nicht ewig weitermachen. Nur bis ein paar unklare Punkte ausgeräumt sind.«
Sein Gegenüber zog eine Grimasse. »Die Sache liegt klar auf der Hand, wie mir scheint: Signor Risso hat sich in den Kopf geschossen
und ist ins Meer gestürzt, Punkt. Das tragische Ende eines depressiven Greises, Punkt. Ich weiß nicht, wonach Sie noch suchen.«
»Erstens einmal nach dem Ort, an dem er sich umgebracht haben soll. Wenn er ins Meer gefallen ist, müsste man logischerweise
annehmen, dass er von einem Felsen gestürzt ist, in der Hand hielt er aber Kieselsteinchen, die es auf den Felsen nicht gibt.«
»Die werden in seine Hand geraten sein, als das Meer ihn an den Strand gespült hat.«
»Da war er schon tot und konnte nichts mehr greifen.«
Der Staatsanwalt schnaubte. »Hören Sie, Commissario, |165| seien wir ganz offen: Dieser Herr war achtzig Jahre alt, keine Angehörigen, keine Zukunft. Er hat vorgezogen, allem ein Ende
zu setzen, respektieren wir seine Entscheidung und setzen auch wir dem ein Ende.«
Der Kreuzzug des Justizministers gegen Herde der Ineffizienz in der Staatsanwaltschaft trug erste Früchte. Da man endlich
den Berg von offenen Vorgängen abbauen wollte, die den Rechtsapparat verstopften, hatte man eine Mindestanzahl an Fällen festgelegt,
die jedes Jahr abgeschlossen werden mussten, außerdem eine Quote für zu archivierende alte Fälle. Alle Richter hatten dieses
Mindestziel zu erreichen, andernfalls drohten Inspektionen, Disziplinarverfahren und mögliche Gehaltskürzungen. Wer dagegen
einen zweiten, weit höheren Richtwert überstieg, dem winkten Anreize wie Leistungsprämien und Beförderung. Doktor Sasso war
offenbar an diesen Prämien interessiert. Und bestimmt wollte er sich nicht das Gehalt kürzen lassen. Er hatte schon ordentlich
ausgemistet unter den alten Fällen und in einem Monat sieben davon abgeschlossen. Um dieses Tempo zu halten, musste er den
Zeitaufwand für neue Fälle auf ein Minimum reduzieren. Das Patentrezept sah so aus: Man eröffnete simple Verfahren, die auf
geringen Verdachtsmomenten und Kinkerlitzchen basierten, und nach drei oder vier Wochen schloss man sie ab mit dem Fazit,
die Ermittlungsarbeit habe jeden Verdacht auf eine Straftat zerstreut. So kam man in geringstmöglicher Zeit auf eine hohe
Erfolgsquote. Der Fall Giuseppe Risso passte bestens in dieses Schema, und Gegenindikationen gab es nicht. Die Presse interessierte
sich nicht für den Selbstmord eines alten Fischers, und es existierten keine Angehörigen, die eine ausgefuchste Lösung erwarteten.
Der Richter hatte den Stempel für den Verfahrensabschluss in die Hand genommen und tat, als würde er noch einmal den Bericht
zu Rissos Tod überfliegen.
|166| Marco Luciani hatte nichts Konkretes in der Hand. Er konnte lediglich einen Kompromiss suchen, auf Zeit spielen.
»Sie haben viel Arbeit, Doktor Sasso, was für mich im Moment nicht gilt. Offensichtlich sind die Menschen dieses Jahr die
reinsten Engel. Was schadet es, wenn ich ein bisschen von meiner Zeit auf diese Geschichte verwende? Lassen Sie mich ermitteln,
zumindest bis wieder ein richtiger Mordfall reinkommt.«
Der Richter betrachtete ihn. Er mochte den Kommissar nicht, er war ihm zu stolz und anmaßend, wollte partout immer nach eigenem
Gutdünken verfahren. Doch musste er eingestehen, dass Luciani äußerst fähig war, und auf so einen Mann würde Sasso in Zukunft
vielleicht noch einmal angewiesen sein. Er zögerte ein paar Sekunden, den Stempel in
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