Keine Pizza für Commissario Luciani
die gegnerische Rückhand ins Leere ging. 15:40. Das zweite schlug er von
rechts, mit so viel Effet, dass es Cevasco gegen den Zaun warf. 30:40. Das dritte kam zentral, sein Gegner reagierte nicht
einmal. 40 beide. »Spitze!«, schrie Casareto, der Geometer, vom Rand. Marco Luciani hörte ihn nicht, er nahm nichts mehr wahr,
außer seinem gleichmäßigen Herzschlag und einer angenehmen Leichtigkeit. Er schlug noch ein starkes erstes Service, und den
allzu |221| hohen Return nutzte er zu einem Rückhand-Volley und zum Punktgewinn. Zum Abschluss servierte er von links einen hammerharten
Ball, den Cevasco gerade noch streifen konnte.
Jetzt stand es 5:4, und der Druck lastete allein auf dem Gegner. Der Kommissar blieb eine Minute reglos auf seinem Stuhl sitzen,
den Kopf unterm Handtuch, und versuchte, die Konzentration aufrechtzuerhalten. Heute bin ich der Stärkere, dachte er, heute
habe ich besser gespielt und verdiene zu gewinnen. Wenn wir auf dem Fußballplatz wären, hätte Marietto recht, der Schiedsrichter
würde noch in der neunzigsten Minute eine Gelegenheit finden, einen Elfer gegen mich zu pfeifen, und ich wäre machtlos. Aber
das hier ist Tennis, die Spielregeln sind gedacht, um dem Besseren zum Sieg zu verhelfen. Man braucht zwei Punkte Vorsprung,
um ein Spiel zu gewinnen, zwei Spiele Vorsprung für einen Satzgewinn, und zwei Sätze, um ein Match zu gewinnen.
Cevasco begann mit einem exzellenten Aufschlag, aber Marco Luciani traf den Ball sauber vor dem Körper und jagte ihn genau
auf die Seitenauslinie. Sein bester Return im bisherigen Match. 0:15. Sein Gegner schüttelte den Kopf, als wäre das alles
nur Zufall und Glück. Er schlug erneut auf Lucianis Rückhandseite auf und attackierte am Netz, doch der Kommissar setzte einen
perfekten Crossball, genau in die zehn Zentimeter breite Lücke, die der Gegner ihm ließ. 0:30. Der amtierende Champion war
zwei Punkte von der Niederlage entfernt und geriet mental ins Wanken, zum ersten Mal seit Beginn der Partie. Er verzog den
ersten Aufschlag, und beim zweiten attackierte Luciani mit einem Longline-Vorhandball. Cevasco musste einen Lob spielen, Luciani
antwortete mit einem Smash und holte sich den Punkt. 0:40. Cevasco setzte ein ungläubiges Lächeln auf, ging sein Gesicht abtrocknen,
öffnete einen Schnürsenkel |222| und band ihn wieder zu und ließ so eine gute Minute verstreichen, um Lucianis Konzentration zu zerstören. Der Kommissar war
aber im totalen Leistungsrausch, jeder Ball schien von seinem Schläger wie mit dem Rasiermesser gezeichnet, er schlitzte die
Leinwand auf, eröffnete den Blick auf andere mögliche Welten, Welten, in denen die Letzten tatsächlich die Ersten wurden,
zumindest für einen Tag, wo es Gerechtigkeit für den Einzelnen gab und in der die alten Anarchisten noch davon träumen konnten,
den Tyrannen zu stürzen. Cevasco warf noch einmal seine ganze Klasse in die Waagschale und zauberte einen weiteren exzellenten
ersten Aufschlag hervor. Den etwas kurzen Return nutzte er zu einem harten Vorhandball, mit dem er den Punkt machen wollte,
aber Marco Luciani hatte das antizipiert, seine Rückhand flog die Seitenauslinie entlang wie ein Zug auf einem Bahngleis und
klatschte auf den Schnittpunkt mit der Grundlinie.
»Aus«, sagte Cevasco, einen Finger in die Luft gereckt. Marco Luciani ließ sich nicht beeindrucken, ging in großen Schritten
über das Feld, am Netz vorbei, und zeigte mit dem Schläger die Stelle an, wo der Ball aufgekommen war. »Das ist nicht die
Stelle«, sagte sein Gegner, »der war mindestens fünf Zentimeter im Aus.« Einen Moment lang war die Spannung mit Händen zu
greifen, und der Kommissar dachte an die unsterblichen Worte in »Die Warriors« von Walter Hill, dem größten Regisseur aller
Zeiten, als Swan zu dem Typen der Baseball Furies vor sich sagt: »Ich schieb dir diesen Schläger in den Arsch und schwenk
dich wie eine Flagge«, und als er schon Cevasco mit dem Schlägergriff entjungfern wollte, hörte er deutlich die Stimme des
Geometers Casareto, der sagte: »Der Ball war gut, das haben wir alle gesehen.« Beifälliges Gemurmel ging durch das Publikum,
doch der Chefarzt winkte nur genervt ab. »Es wäre korrekt, wenn der Ball wiederholt |223| würde, aber mir ist die Lust am Spielen vergangen«, sagte er und verließ das Feld, ohne dem Kommissar die Hand zu geben.
Marco Luciani kehrte nach Camogli zurück und streckte sich zu Hause auf
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