Keine Pizza für Commissario Luciani
einer steinreichen
Familie, Chefarzt in Kardiologie, verbandelt mit Politik und Pharmaindustrie, einer dieser Leute war, die er nicht ertragen
konnte. Alles ging ihm leicht und locker von der Hand, wie die Vor- und Rückhandschläge, die er sicher schon als Kleinkind
von den bedeutendsten Lehrern des NOK gelernt hatte. Er lebte und spielte mühelos, als stünde der Sieg ihm ganz selbstverständlich
zu. Und wenn er einmal Gefahr lief zu verlieren, fand er immer ein Mittel, um das Blatt noch zu wenden.
Der Kommissar machte sich an den Aufschlag und versuchte, nicht daran zu denken, dass sein Gegner, falls diesem jetzt ein
Break gelang, anschließend zum Matchgewinn servierte. Aber schon durch den Versuch, nicht daran zu denken, verschlug er das
erste Service, und das zweite geriet zu schwach, wodurch Cevasco vorrücken und auf Lucianis Rückhand returnieren konnte. 0:15.
Marco Luciani hatte nur einmal seinen Aufschlag abgegeben, zu Beginn des Matches, und das hatte ihn den ersten Satz gekostet.
Danach hatte er mit Hilfe seiner ein Meter siebenundneunzig |219| ein Sperrfeuer an Assen und Serve-and-Volleys losgelassen, hatte immer attackiert, bevor sein Gegner in Tritt kommen konnte.
Er hatte den zweiten Satz 6:2 gewonnen, im dritten hatte er mühelos sein Service durchgebracht und sogar drei Breakbälle verschenkt.
Er hatte wieder ersten Aufschlag, der um Haaresbreite ins Aus ging, und als er den zweiten länger servieren wollte, beging
er einen Doppelfehler: 0:30. Cevasco wechselte tänzelnd auf die rechte Seite, schon bereit, den nächsten Aufschlag zu returnieren.
Der Kommissar fing einen Blick des Geometers Casareto auf, seines geheimen Coaches, der besorgt dreinschaute. Du darfst nicht
ausgerechnet jetzt einbrechen, schien er zu sagen, mach dir nicht im entscheidenden Moment ins Hemd! Marco Luciani atmete
tief ein, holte voll aus und jagte einen Hammerball in den Winkel des Aufschlagfeldes, ein perfektes Ass. Cevasco rührte sich
nicht. »Netz«, sagte er, während der Kommissar schon auf die andere Halbfeldseite wechseln wollte. »Bitte?!« – »Netz. Er hat
die Kante berührt. Tut mir leid.«
Red doch keinen Scheiß, dachte Luciani und schaute hilfesuchend ins Publikum. Das war schon der dritte Punkt, den Cevasco
ihm im dritten Satz klaute, aber niemand schien in einem so heiklen Augenblick gewillt, zu intervenieren. Auch Casareto zog
eine Grimasse, als wollte er sagen: »In seiner Spielfeldhälfte ist er der Schiri.« Linke Bazille, dachte der Kommissar und
bedachte Cevasco mit einem Blick, aus dem Mordlust blitzte. Wieder zog er den ersten Aufschlag voll durch. Aus. Sein Gegenüber
rückte zwei Schritte ins Feld, um sich den Punkt mit einem starken Return zu holen, und Marco Luciani schlug den zweiten Aufschlag
ins Netz. Noch ein Doppelfehler. 0:40.
Cevasco setzte ein spitzes Lächeln auf und ballte die Faust. Er sagte leise: »Jetzt ist er fällig«, aber nicht leise genug,
um vom Kommissar nicht gehört zu werden. Er war |220| stark, selbstsicher und gewohnt, sich zu nehmen, was er wollte. Und wenn er es nicht mit legalen Mitteln bekam, dann scheute
er auch nicht davor zurück, die Regeln zu seinen Gunsten zu ändern. Das war seine Art, auf dem Spielfeld wie im Leben.
Der Kommissar atmete tief durch, und aus irgendeinem merkwürdigen Grund fiel ihm gerade jetzt Mariettos Brief ein. Die Mannschaft
der Reichen zu schlagen ist schwer, extrem schwer. Man muss nicht nur stärker sein als sie, sondern auch stärker als ihre
Selbstsicherheit, als ihre von Dienstmädchen gebügelten Trikots, als ihre Aura der Unbesiegbarkeit. Er schaute sich das Publikum
am Spielfeldrand an, die Vereinsmitglieder hatten ihn durch Beifall unterstützt, ihn bewundernd angelächelt, sie hatten sich
an diesem unerwartet spannenden Match ergötzt, aber jetzt waren sie auf die Seite des Champions umgeschwenkt, bereit, dessen
unvermeidlichen Sieg zu bejubeln. Es war schön und erregend, wenn die Ordnung in Frage gestellt wurde, aber am Ende mussten
doch die tradierten Werte obsiegen. Die Starken behielten die Oberhand, solange die anderen sie für stark hielten, die Reichen
blieben reich, solange die Armen ihnen weiterhin Schmiergelder zahlten, schwarz für sie arbeiteten und keine Rechnungen stellten.
Marco Luciani dachte an Marietto, geschlagen, am Strand abgeladen wie ein Haufen Müll. So werde ich nicht enden, sagte er
leise. Er schlug das erste Ass ganz flach, so dass
Weitere Kostenlose Bücher