Keine Zeit für Vampire
mich dabei eigentümlich. »Io, es gibt nur zwei Arten Dunkle – die, die erlöst sind, und die, die es nicht sind. Mein Vater gehört natürlich zu Letzteren.«
»Natürlich.« Ich überlegte, ob ich ihn vielleicht abschütteln könnte, wenn ich in das große Hauptzelt rannte, oder aber, indem ich mich unauffällig unter die immer breiter werdenden Besucherströme mischte.
»Meine Mutter hat er allerdings aufrichtig geliebt. Auf seine eigene Art eben. Erst hinterher wurde er unfähig, derlei Gefühle zu empfinden.«
»Na ja, so ist das eben mit den Düsteren. Kann vorkommen.«
Er hielt mich am Arm fest und zwang mich so, stehen zu bleiben. Dann wirbelte er mich herum, damit ich ihm ins Gesicht sehen musste, und fixierte mich mit zusammengekniffenen Augen. »Du weißt aber schon, was ein Dunkler ist, oder?«
»Na sicher«, flunkerte ich und schenkte ihm ein Lächeln, das, wie ich hoffte, überlegen wirkte. »Das sind … ähm … Also, sie werden sehr alt und sie … hm … gehen gern auf Messen und … äh … sie sind … na ja …«
»Vampire«, tönte eine weibliche Stimme hinter mir.
Ich fuhr herum und riss ungläubig die Augen auf. Fran stand hinter mir und lächelte Ben über meine Schulter hinweg zu.
»Sexy, sexy Vampire«, fügte sie mit einem lustvollen Seufzen hinzu.
Eiskalte Panik überkam mich. Wild umherblickend suchte ich nach einem Fluchtweg. Die Fotos von Imogen waren mir inzwischen einerlei. Ich würde keine Sekunde länger mit Leuten verbringen, die sich für dreihundert Jahre alte Vampire hielten!
»Io, ich möchte dir gern meine Geister vorstellen. Sie sind Wikinger. Eigentlich sollten sie in Walhalla sein, aber sie behaupten steif und fest, dass sie hergeschickt wurden, um Ben und mir bei einem kleinen Projekt behilflich zu sein …«
Ich wartete das Ende von Frans Satz nicht mehr ab, sondern nahm die Beine in die Hand und sah zu, dass ich diesem Wahnsinn entfloh.
2
Die unglaublichen Abenteuer der Iolanthe Tennyson
11. Juli
»Bist du sicher, dass du allein gehen willst, Io?«, fragte Gretl besorgt. »Du wirst doch nicht krank, oder?«
Ich stellte die Kameratasche auf einen glatten Findling neben dem Seitenstreifen und lächelte ihr munter zu. »Nein, ich bin nicht krank, und ich komme schon zurecht. Gestern Abend auf dem Jahrmarkt, da war ich ein bisschen müde, aber heute Morgen fühle ich mich wieder pudelwohl.«
Gretl beäugte mich unverdrossen und kaute dabei auf ihrer Unterlippe. »Gestern Abend warst du richtiggehend verstört. Du wolltest unbedingt sofort nach Hause gehen … Hat Imogens Bruder vielleicht etwas zu dir gesagt, was dich verärgert hat?«
Zum Beispiel, dass er ein dreihundert Jahre alter Vampir ist? Ja, das kann einen schon aus der Fassung bringen. Ich hätte jedoch Gretl gegenüber niemals geäußert, dass ihre Freunde allesamt Spinner waren, denn anscheinend benahmen sie sich in ihrer Gegenwart völlig normal. Bei der Erinnerung an den gestrigen Abend bekam ich eine Gänsehaut. »Wie gesagt, es lag nicht an ihm. Ich glaube, mein Biorhythmus war durcheinander oder so. Ich musste mich einfach nur ein bisschen ausruhen, und wie du siehst, bin ich heute wieder auf dem Damm.«
»Mmm.« Gretl spähte über meine Schulter zu dem Wald hin und erschauerte bei dem Anblick ein wenig. »Wieso willst du ausgerechnet dort Fotos machen, wo du doch weißt, dass es im Wald spukt? Und außerdem soll dort auch noch Imogens Vater ums Leben gekommen sein. Ich finde, du solltest dir eine andere Stelle für deine Fotoaufnahmen suchen.«
»Imogen mag vielleicht nicht hierherkommen – was ich ihr in Anbetracht der schlimmen Erinnerungen, die ihre Familie mit diesem Ort verbindet, nicht verdenken kann –, aber das ist noch lange kein Grund, dass ich nicht im Wald ein paar Bilder machen kann.«
Ich wandte mich um und betrachtete die dicht beieinanderstehenden Bäume. Laut Gretls Landkarte war der Wald relativ klein, weniger als vierzig Quadratkilometer groß, und ovalförmig. St. Andras lag südlich davon, nördlich erhob sich die Burg und östlich erstreckte sich eine Bergkette, die bis zur Nachbarstadt reichte. In westlicher Richtung fiel das Gelände ab, und die Bäume wurden immer lichter. Im Tal am Fuß des Hügels kampierte momentan die GothFaire .
»Wahrscheinlich nicht«, stimmte Gretl widerstrebend zu, doch die Skepsis stand ihr ins Gesicht geschrieben. »Aber trotzdem sieht der Wald unheimlich aus. Ich würde niemals dort hineingehen.«
Ich muss zugeben, dass der
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