Keine Zeit für Vampire
Philosophen, Magier und Beschwörer ätherischer Energien.«
Ich hatte so meine Probleme damit, die Tätowiererin mit der ätherischen Welt in Einklang zu bringen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass sie gewohnheitsmäßig fiese Dinge mit Brustwarzen anstellte, doch ich behielt meine Zweifel für mich, murmelte stattdessen etwas Unverbindliches und fuhr fort, die faszinierende alte Büste auf Film zu bannen.
»Io? Du willst dir doch nicht etwa etwas durchstechen lassen?«
Ich drehte mich nach der Frau mittleren Alters um, die mit einer Plastiktüte in der Hand hinter mir stand und mich mit großen Augen argwöhnisch musterte. »Aber nein, diese nette Dame hier hat mich nur ihren phrenologischen Kopf fotografieren lassen«, erklärte ich breit grinsend.
Die stachelhaarige Tätowiererin beäugte zuerst Gretl, meine Großcousine, die ich schon seit meiner Kindheit kannte, und dann mich. »Bei mehreren Tattoos kann ich Mengenrabatt gewähren. Falls Madames Freundin ebenfalls eines möchte. Auf besonderen Wunsch kann ich Ihnen auch eine Tätowierung an einer etwas intimeren Stelle anbieten. Man sagt, meine Schamlippenarbeiten seien unübertroffen.«
Gretl riss die Augen noch weiter auf. Ich ergriff schnell ihren Arm und manövrierte sie nach draußen. »Vielen Dank für das Angebot, aber ich überschlafe die Dinge immer lieber erst einmal – und das gilt auch für Tätowierungen an intimen Stellen. Danke nochmals, dass ich Bilder von der Büste machen durfte.«
»Kanntest du diese Frau?«, fragte mich Gretl, als wir auf dem Mittelgang an den Jahrmarktsbuden vorbeigingen. Dabei warf sie ständig besorgte Blicke über die Schulter, als würde sie befürchten, dass die Tätowiererin uns möglicherweise nachjagen und uns ein Vaginatattoo verpassen könnte.
»Nein. Aber sie war ganz interessant, findest du nicht? Wie dieser ganze Jahrmarkt. Wie hast du überhaupt davon erfahren?«
»Eine alte Freundin von mir arbeitet hier. Ich wollte sie gerade besuchen, aber ihr Stand war geschlossen. Die Wiccahexe nebenan meinte, dass sie einkaufen gegangen sei und in Kürze zurückkäme. Was würdest du denn in der Zwischenzeit gerne unternehmen?« Gretl blieb stehen und blickte sich um.
Ich tat es ihr gleich. Die GothFaire bestand aus zwei u-förmigen Reihen mit verschiedenen Messeständen und einem großen Hauptzelt, das am Ende der Stände aufgebaut war. Flyer, die von einer leichten Brise vor sich hergetrieben wurden, warben für zwei Bands, die später am Abend auftreten sollten, und für diverse Magieshows, die bereits früher stattfinden würden. Ich warf einen Blick auf die Uhr. »Ich würde mir gern die Zaubershows ansehen, aber bis dahin ist noch eine Stunde Zeit. Wie wäre es, wenn wir uns aus der Hand lesen lassen? Es soll auch so etwas wie Aurafotografien geben. Das stell ich mir lustig vor. Ich frage mich, mit welchen Tricks sie wohl die Auren um die Menschen herum erscheinen lassen. Vielleicht kann ich mir ja deren Fotoausrüstung einmal genauer ansehen und es herausfinden.«
Gretl lachte und drückte meine Hand, in der ich noch immer die Kamera hielt. »War ja klar, dass du dir den Fotografenstand ansehen möchtest.«
»Deswegen bin ich ja überhaupt erst hier«, erwiderte ich und zeigte auf einen Stand weiter vorne, der mit einer Holztafel warb, auf die ein riesiger Augapfel aufgemalt war. »Du bist hier, um dich von den Strapazen der letzten Zeit zu erholen und sonst nichts«, widersprach Gretl bestimmt und erstickte meinen Protest sofort im Keim. »Ich könnte ja nicht mehr in den Spiegel sehen, wenn ich zulassen würde, dass du während deines Besuchs bei mir arbeitest. Entspann dich. Ruh dich aus. Komm erst mal wieder auf die Beine. Dann kannst du dir in den Staaten immer noch einen neuen Job suchen – und zwar einen besseren. Und einen Vorgesetzten, der nicht versucht, dir an die Wäsche zu gehen.«
»Mit Barrys Tentakeln an sich wäre ich ja klargekommen, aber als er erfahren hat, dass ich ihn wegen sexueller Belästigung angezeigt habe, hat er Buchhaltungsunterlagen frisiert und versucht, mir die Sache in die Schuhe zu schieben. Dieser verlogene, widerwärtige Busengrapscher.« Ich holte tief Luft und hielt mir vor Augen, dass zweieinhalb lange Monate vor mir lagen, um den gleichzeitigen Verlust meines Jobs und meiner Wohnung zu verarbeiten. Eine neue Bleibe zu finden, sollte nicht allzu schwierig werden. Allerdings würde ich diesmal darauf achten, nicht wieder an einen Vermieter zu geraten, der
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