Keine Zeit für Vampire
uns vorbeikamen, auf sich. Sie schickte rasch ein versöhnliches Lächeln in deren Richtung und sagte dann zu mir: »Tut mir leid. Du musst mich für fürchterlich emotional halten, aber wenn du damit den Zauberwald gleich bei der Andrasburg meinst, muss ich erneut ablehnen. Dieser Wald ist ein böser Ort. Ich werde nie wieder auch nur einen Fuß dort hineinsetzen.«
»Ich wollte natürlich keinen Schauplatz vorschlagen, an dem du dich unwohl fühlst.« Ich überlegte kurz. »Ich kenne mich hier in der Umgebung nicht so gut aus. Es muss doch noch einen anderen Ort geben, der so eine Atmosphäre von Jenseits versprüht.«
» Von Jenseits ? Aber klar, das findet sich schon.« Sie musterte mich zuerst erstaunt, dann abschätzig und warf mir dann einen amüsierten Blick zu, beinahe so, als würden wir ein Geheimnis teilen. Das fand ich sehr merkwürdig, denn schließlich hatten wir uns gerade erst kennengelernt – wie konnten wir da schon Heimlichkeiten miteinander teilen? Als Gretl von einer Bekannten gerufen wurde und sich von uns abwandte, um sie zu begrüßen, beugte sich Imogen zu mir vor und flüsterte mir hinter Gretls Rücken zu: »Ich habe ja gar nicht gemerkt, dass du keine von den Weltlichen bist …«
»Äh …« Weltlich? War das etwa als Stichelei auf Gretls Kosten gemeint? Sofort verteidigte ich meine geliebte Cousine. »Ich habe mich selbst schon immer für etwas … anders als die anderen gehalten, aber obwohl Gretl einen traditionellen Lebensweg gewählt hat, ist sie nichtsdestotrotz ein großartiger Mensch.«
»Selbstverständlich ist sie großartig. Wir sind seit vielen Jahren befreundet.« Imogen schmunzelte und drückte rasch meinen Arm. »Wir alle fühlen uns irgendwann anders als die anderen, oder? Zumindest bis wir unseresgleichen finden. Aber wer genau bist du? Mir ist klar, dass es unhöflich ist, dich so direkt zu fragen, aber bestimmt möchtest du deine wahre Natur nicht vor der lieben Gretl offenbaren.«
Erneut musterte ich sie verdattert und hatte keine Ahnung, wie ich auf ihre Anspielung reagieren sollte. Glücklicherweise beendete Gretl just in dem Moment die Unterhaltung mit ihrer Bekannten und kehrte zu uns zurück. Mir blieb nur, Imogens Augenzwinkern mit einem Lächeln zu quittieren. Gleichzeitig nahm ich mir vor, Gretl oder ihre älteste Tochter Erica zu bitten, mich bei dem Fotoshooting zu begleiten, denn ich gewann immer mehr den Eindruck, dass Imogen nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte.
»Ach, da sind ja Benedikt und Fran. Kommt, ich muss euch den beiden unbedingt vorstellen. Benedikt wird sich freuen, dich wiederzusehen, Gretl.«
Imogen rauschte mit Gretl im Schlepptau davon. Ich folgte den beiden. Sie gingen auf einen groß gewachsenen Mann mit schulterlangem schwarzen Haar zu. An seiner Seite stand eine beinahe ebenso große Frau, die etwa Anfang zwanzig sein musste.
»Na, das ist ja interessant«, sagte ich leise zu mir selbst und begutachtete die Frau namens Fran. Ungeachtet ihres guten Aussehens musste Imogen bereits auf die Fünfzig zugehen, denn schließlich kannten sie und Gretl sich bereits seit dreißig Jahren. Das würde bedeuten, dass ihr Bruder, wenn er nicht gerade sehr viel jünger als Imogen war, wahrscheinlich ebenfalls schon um die vierzig oder fünfzig sein musste. »Selbst wenn er deutlich jünger als seine Schwester ist, müsste er ungefähr in meinem Alter sein«, murmelte ich und schlenderte auf das Grüppchen zu.
Doch seine Frau war gerade einmal zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig. Als das Paar auf Gretl zutrat, um sie zu begrüßen, warf ich meiner Cousine einen Blick zu. Bevor sie ein freundliches Lächeln aufsetzte, runzelte sie für einen Moment verdutzt die Stirn, war jedoch gleich darauf schon wieder charmant wie eh und je. Als der Mann sich nach mir umdrehte, um mich zu begrüßen, konnte ich Gretls Verwunderung verstehen. Ich wollte meinen Augen nicht trauen und starrte ihn einen Moment lang einfach nur an. Er war etwa Mitte, vielleicht auch Ende zwanzig, mindestens zehn Jahre jünger als ich, was bedeutete, dass Imogen alt genug war, um seine Mutter zu sein. Merkwürdig.
Erst jetzt bemerkte ich, dass inzwischen allen aufgefallen war, dass ich Imogens gut aussehenden, um so vieles jüngeren Bruder unverhohlen anglotzte. Schnell riss ich mich zusammen.
»Tschuldigung«, murmelte ich und gab zuerst ihm und dann Fran die Hand. Fran musterte mich amüsiert und legte dann in einer unübersehbar besitzergreifenden Geste den Arm um die
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