Keinen Plan, ein Paar Socken und 1000 km vor sich...
Gefühl. Mich an die Aussage eines Bayern vor
Jahren erinnernd, dass die Viecher wohl zwar keinen Nobelpreis gewinnen werden,
aber doch insgesamt sehr neugierig sind, bleiben wir einfach stehen. Damit
scheinen wir so interessant wie ein leerer Futtertrog, denn sie laufen zwar auf
uns zu, weichen dann aber doch kurz vorher aus. Irgendwann später kommt auch
der Bauer. Es ist wie im Einsatz … nachdem der Trupp die Tür gewaltsam geöffnet
hat, kommt wie aus dem Nichts der Eigentümer, fröhlich winkend mit einem
Schlüssel. Vorher hat ihn der Erdboden verschluckt und ihn erst wieder
freigegeben, als der Zylinder aus dem Türblatt fällt – oder schlimmer – als die
Schuhsohle das Wohnungsinnere erreicht und einen hüfthohen, freien Blick in die
Diele gewährt.
Nach der ku(h)ltigen Erfahrung, dürfen wir noch etwas ganz
Besonderes erleben … wir überholen Radfahrer … und ebenfalls ohne zu klingeln.
Der Anstieg scheint ihnen schwer zuzusetzen. Ich möchte nicht wissen, wie viele
Kilometer sie heute schon in den Beinen haben und tauschen möchte ich auch
nicht. Mit den Rädern und ohne Wanderschuhe wird dieser Teilabschnitt zu einer
wahren Tortur und sie sind gezeichnet von ihrer heutigen Etappe. Der Weg ist
übersät von Felsbrocken und losem Geröll. Kein Wunder, dass wir mit unseren
Stöcken besser vorankommen. Aber ein leichtes Hochgefühl bleibt, inklusive dem
Ansporn nun auch vor ihnen in der Stadt anzukommen. Da kommt der
Wettkampfgedanke wieder durch! Um 18:30 Uhr, quasi zweieinhalb Stunden nach dem
theoretisch letzten verfügbaren Bett, treffen wir zuerst kurz Jacqueline,
erreichen dann die öffentliche Herberge und bekommen „wie durch ein Wunder“
doch noch Betten. Es sind sogar Einzel- und keine Etagenbetten. Das zum Thema:
„Wir müssen“ bis um 16:00 Uhr da sein. Es wird nichts so heiß gegessen wie es
gekocht wird. Aber es ist erstaunlich. Der Satz schwirrte doch den ganzen Tag
im Hinterkopf. Auch wenn wir nicht in Stress verfallen sind, so war er doch
allgegenwärtig.
In der Herberge treffen wir Alex. Andreas ist einen Ort
vorher ausgestiegen, von Jacqueline wissen wir, dass Sandy im Hotel abgestiegen
ist. Mit Alex essen wir ein vorzügliches Pilgermenü mit selbst gemachtem Kuchen
zum Nachtisch. Die anderen finden wir nicht mehr. Catia hat heute Abend schon
angekündigt, morgen mal alleine laufen zu wollen, also verabrede ich mich für
halb acht mit Alex. Ich habe im Moment keinen Bedarf alleine zu gehen, Catia
war allerdings bisher immer unter Leuten und möchte vor Beendigung des Caminos
doch die ein oder andere Strecke für sich wandern.
10.06.: O Cebreiro – Triacastela (22,0km)
Alex war heute Morgen nicht aufzufinden. Also bin ich
alleine los. Die ersten fünf Kilometer hab ich mich mit einem Apfel über Wasser
gehalten. Dann gab es zumindest Toast und einen Café. Aber Bocadillos waren in
der Bar nicht zu kriegen. In der nächsten Bar, direkt nach einem längeren
Anstieg, am höchsten Punkt des Caminos, in Galizien, habe ich mehr Glück. Zum
einen sitzt dort der vermisste Alex und zum anderen gibt es schmackhafte
Bocadillos und einen Pott Café. Zusätzlich kommt die Sonne raus und der Tag ist
mein Freund. Alex und ich legen eine längere Pause ein. Wo er heute Morgen war,
habe ich bis zum Schluss nicht verstanden. Sei‘s drum. Jetzt sitzen wir ja
zusammen und genießen die Sonnenstrahlen. Nacheinander trudeln auch Jacqueline
und Catia ein und gesellen sich zu uns. Ich bekomme von Jacqueline noch ein
paar Halspastillen für meine beginnenden Halsschmerzen und dann machen Alex und
ich uns auf den Weg. Unterwegs begegnet uns ein Trupp Portugiesen. 40 an der
Zahl. So genannte Wochenendpilger, oder auch Touristen wie wir sie gerne
nennen. No Boots? No backpack? No Pelegrinos – Tourists! Sie werden teils mit
Reisebussen angekarrt, haben einen Führer mit einer Warnweste und
professionellem Pilgerstab. Sie wandern so geführt eine bis mehrere
Tagesetappen, übernachten gewöhnlich in reservierten Herbergen oder Hotels und
werden zumindest in unserem gesichteten Fall von einem VW-Büschen mit Getränken,
Obst, etc. versorgt. Insgesamt gesehen eine Art zu pilgern; eine andere Art.
Nicht besser, nicht schlechter, das möchte ich betonen. Aber lästern befreit
die Seele und Gruppierungen neigen nunmal jeher zu Vergleichen und ordnen sich
selbst grundsätzlich vor der anderen ein. Also warum wir nicht auch. Eigentlich
ist es eine wirklich nette Truppe, die uns sogar Wasser und Früchte
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