Keinen Plan, ein Paar Socken und 1000 km vor sich...
steht
schon ein Bus, den er ganz offensichtlich nehmen kann. Wir umarmen uns – wieder
Tränen – dann steigt er in den Bus. Der Augenblick ist nun da, den ich solange
gefürchtet habe. Die Familie ist getrennt, ich bin alleine. Ich muss wirklich
zugeben, dass mir es in diesem Moment mehr als bescheiden geht. Ich bin tief
traurig. Alle Menschen, die mir auf diesem Weg wichtig waren, sind nun fort.
Fort, nach Hause in ihre Heimat, weiter auf ihrem Weg durch Europa oder
Richtung Afrika. Jeder seines Weges, seines eigenen Weges. Ich gehe zurück ins
Zentrum, möchte noch in einem Café Postkarten und Tagebuch schreiben. Vorbei an
der Kathedrale sehe ich plötzlich ein bekanntes Gesicht. Hyro, mein Japaner vom
18.05., mit der Kopfplatzwunde. Wir schließen uns freudestrahlend in die Arme.
Seine Frau ist ihm nachgereist. Beide sind auf dem Weg ins erste Hotel am
Platz, direkt neben der Kathedrale. Wir machen noch ein letztes Foto, dann
beziehen sie ihr Zimmer. Eben ging es mir noch fraglich. Nun, von der einen auf
die andere Sekunde, sieht die Welt direkt freundlicher aus. Ich gehe ins Café
und fange an zu schreiben. Postkarte für Postkarte. Als ich aus dem Café
schaue, sehe ich Claudia, eine Australierin, die ich mehrmals auf dem Weg
getroffen habe. Sie setzt sich zu mir und wir quatschen. Sie hat gerade ein
Paket von Muttern bei der Post abgeholt – mit neuen Klamotten. Ich freue mich
auch darauf, meine beiden Garnituren gegen eine normale Jeans und T-Shirt zu
tauschen. Claudia wird noch ein paar Tage in Santiago bleiben und macht sich
auf in Richtung des Hostels, in dem ich letzte Nacht noch genächtigt habe. Ich
bleibe und schreibe meine Karten zu Ende. Ich brauche noch eine neue
Stofftasche als Handgepäck für den Flug zurück nach Köln. Meine Tasche, die mir
auf dem Weg gute Dienste geleistet hat, musste ich leider mit Scherben und 0,7l
Rotwein in Finisterre lassen, nachdem ich sie zu fest auf dem Boden aufgesetzt
habe. Ich mache mich also auf die Suche nach einem entsprechenden Laden und
treffe Monika aus Niederbayern. Viel miteinander zu tun hatten wir nicht, aber
es ist trotzdem schön, sie zu sehen. Wir verabschieden uns ebenfalls und ihre
Begleiter haben noch einen guten Tipp für ein Taschengeschäft. Ich finde eine,
für vier Euro, und mache mich auf, Santiago zu verlassen.
Ich schlendere durch die Stadt, sehe Pilger die gerade
eintreffen und mache noch einmal bei einem Straßenmusiker halt. Ich möchte
diese Stadt mit all ihren Facetten im Gedächtnis behalten und lausche ein paar
Minuten seinen Melodien. Danach geht es den gleichen Weg von gestern Abend zu
Fuß zurück zum Busbahnhof – quer durch die Stadt. Ich habe mehr Zeit als
gedacht für die Morgenplanung benötigt. So bleibt nur kurz Gelegenheit für die
Feuerwache, aber es ist eh Mittag und ich rechne kaum damit, jemanden zu sehen.
Die Mittagspause oder auch Siesta ist schließlich heilig. Ich habe Glück, einer
der Männer lässt sich an der Fahrzeughalle blicken und erklärt sich bereit, ein
paar Fotos zu machen. Englisch spricht er leider kaum, so beschränke ich mich
dann auf die Bilder. Der Bus zum Flughafen geht 20 Minuten später. Am Flughafen
checke ich ein und treffe quasi unmittelbar danach Simone und Eike, die mich
auf dem Flug nach Palma de Mallorca begleiten werden. Der Flug ist leicht
verspätet und wir sitzen im Flieger einiges auseinander. Durch zwei Damen neben
mir, die ihren erfolgreichen Camino mit Sekt feiern, auf die Idee gebracht,
stoßen wir auf die Verlobung von Simone und Eike an. Er hat ihr in Finisterre
im Sonnenuntergang den Antrag gemacht. Nach 5,5 Wochen gemeinsamen Wanderns.
„Der Weg ist das Ziel“.
Unser Weg endet abrupt in Palma – durch die Verspätung
müssen sie laufenderweise zum Boarding nach Hamburg. Ich hingegen habe Zeit.
Esse erstmal „gesund“ bei McDonald und schüttele nur den Kopf bei den ganzen
Deutschen hier, die mehr oder minder fit sind und teilweise noch mit den
Gedanken in der Diskothek hängen. Mein Flug verspätet sich – ich nehme es
gelassen und nutze die Zeit, um mein Tagebuch zu schreiben. Dienstbeflissen
entdecke ich während meines Aufenthalts am Flughafen im 17. Bundesland einen
typischen Brandschaumangel – abgeschlossene Rettungswege. Da bin ich wieder
zurück in meinen Strukturen und anscheinend haben immer noch einige wenige
nicht aus den Unglücken der letzten Jahrzehnte gelernt. Anders kann ich mir die
Kette vor einem gekennzeichnetem Notausgang nicht erklären.
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