Keiner kuesst so heiß wie du
weiteren köstlichen Dinner sahen sie sich gemeinsam einen Film von Hitchcock an, teilten sie sich eine große Portion Karamelleis und tauschten danach heiß-kalte Küsse aus.
Auch der Sonntag verlief absolut entspannend. Bis zum Mittag blieben sie im Bett liegen, dann beschloss RJ, sich endlich den Inhalt des braunen Umschlags genauer anzusehen.
Innerlich schon viel ruhiger betrat RJ das Arbeitszimmer. Am Freitag hatte er zwar die Tür hinter sich geschlossen, weil er sich vorgenommen hatte, ein angenehmes Wochenende mit Brooke zu verbringen. Doch heute, am Sonntag, hatte ihn schließlich doch das schlechte Gewissen gepackt. Normalerweise würde die ganze Familie Kincaid sich an diesem Abend in der elterlichen Villa zum traditionellen Sonntagsdinner einfinden. Doch da seine Mutter nun im Gefängnis saß, wäre es unangemessen gewesen, an dieser Tradition festzuhalten. Denn wie hätten sie ohne ihren Vater oder ihre Mutter an einem Tisch sitzen und sich in die Augen sehen können?
Obwohl sie sich nach dem Tod seines Vaters auf den Wunsch seiner Mutter weiterhin jeden Sonntag getroffen hatten. Eigentlich wäre er als ältester Sohn an der Reihe gewesen, die Tradition fortzuführen und an diesem Abend zum Dinner zu laden. Doch er hatte es nicht übers Herz gebracht.
Stattdessen hatte er sich entschieden, zwei wunderbare Tage mit der wunderbaren Brooke zu verbringen.
Doch es gab etwas, was er nicht länger aufschieben wollte.
Nach dem Essen hatte Brooke unter dem Vorwand, einige Telefonate führen zu müssen, sich bei ihm entschuldigt. Während sie auf der Terrasse verschwunden war, hatte er sich schweren Herzens auf den Weg ins Arbeitszimmer gemacht.
Nun starrte er auf den Umschlag in der Schublade des Schreibtisches.
Er holte tief Luft, nahm den Umschlag und leerte den Inhalt auf der Tischplatte aus. Unter den meist alten Dokumenten war auch ein neues, zusammengefaltetes Blatt Papier. RJ faltete es auseinander. Als er die vertraute Handschrift seines Vaters erkannte, wurde ihm flau im Magen. Noch ein Brief. Der, den er unmittelbar nach der Beerdigung bekommen hatte, hatte seiner Seele eine schmerzende Wunde zugefügt. Und die, so befürchtete er, würde nun vermutlich wieder aufreißen.
Obwohl Du meinen Namen trägst, bist Du nicht mein erstgeborener Sohn.
Zwar hatte RJ Angela und ihren Sohn auf der Beerdigung seines Vaters gesehen, das Gerede über sie aber nicht glauben wollen. Als er den ersten Brief schließlich geöffnet und jene Zeile gelesen hatte, war die Wahrheit für ihn wie ein Schlag ins Gesicht gewesen. Von Geburt an war er immer Reginald Kincaid Junior gewesen, der älteste und hoffnungsvolle Spross der Familie.
Doch in dem Brief hatte sein Vater enthüllt, dass er nicht der Erstgeborene und damit nicht der Stammhalter war, für den alle ihn stets gehalten hatten.
Unehelich Vater zu werden war eine Sache – außerdem hatte Reginald erst fünf Jahre nach Jacks Geburt zufällig von seinem Sohn erfahren –, aber mit Jacks Mutter, Jack und dessen Halbbruder heimlich ein Doppelleben zu führen überstieg alles.
Entschlossen schaute RJ auf das Blatt Papier, das auf beiden Seiten beschrieben war, und begann zu lesen.
Lieber Reginald,
wir alle treffen Entscheidungen in unserem Leben, und wie Du herausgefunden haben dürftest, habe ich welche getroffen, die Dich vermutlich sehr zornig gemacht haben. Tatsächlich hast Du allen Grund, mir böse zu sein. Mittlerweile hast Du aber auch etwas Zeit gehabt, die Wahrheit auf Dich wirken zu lassen. Und deshalb möchte ich Dir gerne sagen, dass auch Du die Freiheit hast, Entscheidungen zu treffen.
RJ gab einen wütenden Laut von sich. Was hatte sein Vater sich nur bei diesen Worten gedacht? Dass er irgendein pubertierender Jüngling war, der väterlichen Zuspruch bräuchte? Er war seit mehr als fünfzehn Jahren erwachsen!
Mir haben meine Eltern, mit dem Verbot, Angela zu heiraten, diese Freiheit genommen.
RJ musste sich zusammenreißen, um nicht lautstark zu fluchen. Er wünschte, die Namen von Angela und ihrem verdammten Sohn niemals gehört zu haben.
Da ich ein guter Sohn sein wollte, habe ich mich daran gehalten. Und bin fortgerannt. Wie Du weißt, hat mich die Zeit bei der Armee gestählt. Ich blicke auf sie mit Stolz und Wehmut zurück. Der Ring, den Du im Umschlag findest, ist das Symbol der Treue meiner Einheit gegenüber. So gesehen ist es eine Art Ehering. Ich wollte mein altes Leben um jeden Preis abstreifen und ein völlig neues beginnen.
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