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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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setzte sich in seinen Sessel und fragte leise: »Woher hast du das, Anton?«
     
    Sonja hatte große Lust auf ein Eis. Im Supermarkt an der Ecke gab es ihre Lieblingssorte – mit weißer Schokolade und Nüssen.
    Sie war allein zu Hause. Nadeshda war arbeiten, Vera mit Kurbatow zu einem alten Anwalt gefahren, wegen Fjodor …
    Hoffentlich tauchte er nicht plötzlich hier auf. Er hatte die unschöne Angewohnheit, einfach unangemeldet zu erscheinen. Überhaupt
     waren alle seine Gewohnheiten gräßlich. Er würde sie ausfragen, wo Vera ist, und womöglich hierbleiben, um auf sie zu warten.
     Wenn Kurbatow nun Vera nach Hause brachte? Dann wüßte Fjodor sofort Bescheid! Aber vielleicht hatte er sowieso schon kapiert?
     Dieser Bandit,dieser unselige Kriminelle! Aber die von der Miliz, die waren auch gut. Als sie sich für das Foto des Verbrechers interessiert
     hatte, hatte niemand gefragt: Wo hast du ihn denn gesehen, Mädchen? Als wollten sie ihn gar nicht erwischen. Aber nach dem
     Mann, der diesen Mistkerl erschossen hatte, nach dem suchten sie. Klar, ein guter Mensch war leichter zu erwischen als ein
     Bandit.
    Daß der Mann, der den Irren erschossen hatte, ein guter Mensch war und richtig gehandelt hatte, stand für die zehnjährige
     Sonja fest.
    Sonja zog Shorts und ein T-Shirt an, drehte sich eine Weile vorm Spiegel und überlegte, ob sie die Haare offen lassen oder
     lieber zusammenbinden sollte. Offen sahen sie schöner aus, aber ein Pferdeschwanz war bequemer und nicht so warm. Auf dem
     Regal vorm Spiegel entdeckte sie ihre Lieblingshaarspange mit dem gefleckten Dalmatiner drauf. Sonja verbummelte sie dauernd,
     und Nadeshda fand sie jedesmal wieder und legte sie vor den Spiegel, wie heute.
    Sonja kämmte sich und band das Haar zu einem dicken Pferdeschwanz zusammen. Ach, das sah auch nicht übel aus. Mama würde jetzt
     bestimmt sagen: Du drehst dich vorm Spiegel, als wolltest du auf einen Ball, dabei gehst du bloß in den Supermarkt. Und Papa
     würde sagen: Nun laß sie doch, sie ist schließlich ein Mädchen.
    Als Sonja sich im Flur die Sandalen anzog, sprang Matwej aufgeregt um sie herum.
    »Ich gehe nachher mit dir runter«, versprach sie. »In den Laden darfst du sowieso nicht mit rein. Und vor der Tür sitzen und
     auf mich warten magst du ja auch nicht.«
    Matwej wedelte heftig mit dem Schwanz. Wahrscheinlich wollte er sagen, daß er warten würde, wo sie wollte und solange sie
     wollte, Hauptsache, sie nahm ihn mit.
    »Sei nicht traurig, ich beeile mich. Und Eis darfst du sowieso nicht.« Sonja streichelte ihm den Kopf. »Das ist schlecht für
     deine Augen.«
    Es war ein heißer, klarer Morgen. Sonja lief über den menschenleeren Hof. Die Kinder waren alle verreist. Allein unten sein
     war natürlich langweilig. Aber immer noch besser, als bei solchem Wetter zu Hause zu sitzen, zumal Fjodor jeden Moment auftauchen
     konnte.
    Sie trat in den dunklen Torbogen, der den Hof von der Straße trennte. Als sie hinter sich einen Automotor und laute Rockmusik
     hörte, preßte sie sich an die Wand, um das Auto vorbeizulassen. Neben ihr bremste ein dunkelroter Shiguli. Die Fenster waren
     offen. Die Musik dröhnte ohrenbetäubend. Am Steuer saß ein sehr blasser blonder Mann.
    »Mädchen, weißt du vielleicht, wo hier die nächste Apotheke ist?« brüllte er, aus dem Fenster gebeugt.
    »Aus dem Tor raus über den Platz, dann die erste links«, erklärte Sonja.
    »Was? Ich verstehe nichts!« Der Mann bemühte sich, die Musik zu übertönen.
    Auf dem Rücksitz saß eine dünne Frau mit kurzen Haaren.
    »Erklär’s lieber mir, Mädchen, nicht ihm.« Auch die bemühte sich, die Musik zu überschreien. »Er hat einen Herzanfall, und
     ich kann nicht Auto fahren. Er braucht dringend Nitroglyzerin.«
    »Stellen Sie doch mal die Musik leiser«, sagte Sonja.
    »Was?« fragte die Frau. »Warte, ich komm raus. Unser Radio ist kaputt …«
    Die hintere Wagentür ging ein Stück auf.
    Komische Leute, dachte Sonja, er ist noch so jung und hat schon was mit dem Herzen …
    Ein brennender, süßlicher Sprühnebel schlug ihr ins Gesicht. Sie wollte schreien, aber sie bekam keine Luft. Ihre Kehle brannte
     fürchterlich, Tränen spritzten ihr aus den Augen. Sie spürte, wie sie ins Auto gezerrt und auf den Rücksitz geworfen wurde,
     aber ihr Körper war wie aus Watte, siekonnte sich nicht wehren. Ihr wurde schwindlig, dann verlor sie das Bewußtsein.
    »Fahr nicht so schnell«, sagte die Frau, »sonst hält uns noch die

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