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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Passanten waren alle nach oben gerichtet,
     da spürte Denis erneut den eisigen Blick. Der schnurrbärtige Mann im Leinenjackett schaute als einziger auf dem Platz nicht
     auf die berühmte Uhr mit den gotischen Figuren, sondern zu Denis Kurbatow.
    Bisweilen hatte Denis geglaubt, der Killer habe ihn verloren, endgültig verloren. Er war schließlich Ausländer. Dann hatte
     Denis erleichtert aufgeatmet. Er mußte vor allemden Killer abhängen, danach konnte er entscheiden, was er weiter tat – zurückfliegen nach Moskau oder hier in Prag in einem
     sicheren Versteck untertauchen. Oder in Brno oder Bratislava, dort würden sie ihn bestimmt nicht suchen.
    Aber erst einmal mußte er den Kerl abhängen. Doch er schaffte es nicht. Nach Mitternacht wurden die Chancen immer geringer.
     Die Straßen waren menschenleer. Ein Touristenbus nach dem anderen verließ die Innenstadt. Denis beschloß, sich zum Hauptbahnhof
     zu begeben. Er nahm ein Taxi. Durch die Heckscheibe sah er, daß der Schnauzbart ebenfalls in ein Taxi sprang.
    »Dieser Kerl verfolgt mich schon den ganzen Tag«, sagte Denis auf tschechisch zu dem netten älteren Taxifahrer. »Ein verrückter
     Schwuler, wenn nicht gar ein Psychopath. Ich muß ihn abhängen.«
    »Warum wendet sich der Herr nicht an die Polizei?« fragte der Taxifahrer.
    »Dafür gibt es bislang keinen Grund. Er läuft mir bloß hinterher und glotzt mich an. Deswegen wird keiner verhaftet.«
    »Keine Sorge«, sagte der Fahrer und lachte spöttisch, »den hängen wir ab.«
    Der Fahrer kurvte virtuos durch die schlafende Stadt und brachte Denis auf so verschlungenen Wegen zum Hauptbahnhof, daß ihr
     Ziel unmöglich zu erahnen war.
    Auf dem Bahnhof atmete Denis tief durch und beruhigte sich ein wenig. Den Schnauzbart war er nun wohl los. Die Augen fielen
     ihm zu. Er ließ sich im Wartesaal in einen bequemen Sessel fallen und schlief unversehens ein. Doch nach höchstens einer Stunde
     erwachte er von heftigen Bauchschmerzen. Unweit von ihm stand der Killer und schaute sich nervös um. Denis wäre am liebsten
     unter den Sessel gekrochen, verschwunden, unsichtbar geworden.
    Der Killer entdeckte ihn. Hier würde er natürlich nicht schießen. Hier würde ihn sofort die Polizei schnappen. DieserTürke war kein Idiot, der wartete einen passenden Moment ab. Und der würde früher oder später kommen, oder der Schnauzbart
     verlor irgendwann die Geduld und ballerte einfach drauflos.
    Eine Durchsage mahnte, daß der Zug nach Bratislava in zehn Minuten abfuhr, von Gleis fünf. Denis erhob sich ohne Eile, rieb
     sich die verschlafenen Augen und ging zu den Bahnsteigen. Er führte den Killer zum Zug nach Bratislava.
    Du wirst dir eine Fahrkarte kaufen müssen, mein Freund, wandte er sich in Gedanken an den Schnauzbart, du wirst dich gleich
     überzeugen können, daß ich in diesen Zug einsteige, und dann mußt du zur Kasse rennen. Schließlich wirst du es nicht riskieren,
     schwarz zu fahren. Unnötige Scherereien kannst du bei deinem heiklen Handwerk nicht gebrauchen.
    Aber der Schnauzbart riskierte es und sprang in den Zug.
    Denis lief rasch durch die Wagen. Der Zug setzte sich in Bewegung. Der Schaffner wollte gerade die Tür verriegeln.
    »Entschuldigung! Ich bin im falschen Zug, ich hab mich geirrt!« Denis riß die Tür auf und sprang aufs Nachbargleis.
    »Sind Sie verrückt geworden!« rief ihm der Schaffner nach.
    Es war kurz nach zwei Uhr nachts. Bis zum Morgengrauen lief Denis durch die Stadt und wußte nicht mehr, ob er sich das schnurrbärtige
     Gesicht nur einbildete oder ob der Killer wirklich in der Nähe war und der Trick mit dem Zug nicht funktioniert hatte. Gegen
     Morgen konnte er sich vor Erschöpfung kaum noch auf den Beinen halten, die Allergie wurde schlimmer, seine Nase war völlig
     verstopft, die Augen tränten. Er brauchte wenigstens ein paar Stunden Schlaf. Plötzlich kam ihm in den Sinn, daß der Killer
     auch nur ein Mensch war und die nächtliche Jagd ihn ziemlich angestrengt haben dürfte. Doch gleich nach diesem beruhigenden
     Gedanken tauchte ein anderer auf: Wenn er nun abgelöst worden war? Den Schnauzbart kannte er. Aber wie sollte er den anderen
     erkennen?
    Doch der Schnauzbart tauchte wieder auf – erst in der Straßenbahn, dann draußen vor dem Friseurgeschäft. Das konnte nicht
     endlos so weitergehen. Denis brauchte wenigstens eine kleine Atempause. Zunächst einmal mußte er etwas essen.
     
    In der kleinen Bar dröhnte unter der Decke ein altmodischer

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