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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Kurbatow seine Söhne aus der normalen tschechischen Schule herausgenommen und in ein privilegiertes
     Lyzeum geschickt, das von Kindern der Prager KGB-Mitarbeiter, Jungen und Mädchen aus der sowjetischen Botschaft und der Handelsvertretung
     besucht wurde. Die Klassen hatten maximal zehn Schüler, auf vier Tschechen kamen sechs Russen. Agneškas Vater war ein hoher
     Beamter in der Regierung der Tschechoslowakei. Sie ging mit Anton in eine Klasse.
    »Wo sind denn deine Sommersprossen, Agneška?« fragte Denis.
    »Na endlich!« Sie lachte. »Ich habe keine mehr, ich hatte sie satt. Hör mal, bist du lange in Prag? Und wie geht’s Anton?
     Nun setz dich doch, ich mach uns einen Kaffee.«
    »Ja, danke.« Er ließ sich in einen weichen Ledersessel nieder und warf einen Blick auf die Glastür. »Anton geht es gut. Und
     ich … Ich bin geschäftlich hier … Hör mal, kann ich ganz schnell ein Fax nach Moskau schicken?«
    »Natürlich.« Sie nickte. »Das Fax steht da drüben.«
    Er stand auf, ging zum Faxgerät und schrieb in großen Druckbuchstaben ein paar Worte auf tschechisch auf ein Blatt Papier.
     Eine Adresse. Karlštejn, Straße … Hausnummer … Zweiter Stock … Mokka … Türkei … Brunhilde …
    »Was ist denn das, eine chiffrierte Spionsbotschaft?« fragte Agneška belustigt, als sie ihm über die Schulter schaute,.
    Das Gerät meldete, daß das Fax nach Moskau abgegangen sei.
    »Geschäftsgeheimnis«, sagte Denis und lachte nervös.
    »Na schön, ich geh Kaffee kochen. Du kannst ja solange eine rauchen. Und überhaupt – entspann dich. Du wirkst irgendwie so
     hektisch.«
    »Danke. Was bin ich dir schuldig?«
    »Laß gut sein!« Sie winkte fröhlich ab.
    Und verschwand hinten im Kundenraum. Allein im Büro, knüllte Denis das Blatt Papier in der Faust zusammen und steckte es in
     die Tasche seiner Jeans. Dann überlegte er kurz, holte es wieder hervor, riß das Stück mit dem Text ab, legte es in einen
     großen Messingaschenbecher und zündete eine Ecke mit seinem Feuerzeug an. Er drehte sich mit dem Sessel, zog aus der zusammengequetschten
     Packung eine Zigarette, stellte mechanisch fest, daß es seine letzte war, und zündete sie an. Das Stück Papier krümmte sich
     und wurde schwarz. Nach wenigen Sekunden war es verbrannt.
    »Denis!« rief Agneška von nebenan. »Wieviel Zucker?«
    »Zwei Löffel!« rief er zurück.
    »Ist Anton verheiratet?«
    Es kränkte ihn ein wenig, daß Agneška zuerst nach Anton fragte.
    »Nein!« rief er. »Ich auch nicht.«
    Geräuschlos öffnete sich die Glastür. Denis erkannte noch den schwarzen Schnurrbart, das zerknitterte Leinenjackett, den bis
     zum Ellbogen hochgekrempelten Ärmel und den schwarzbehaarten Arm. Die Pistolenmündung mit dem Schalldämpfer sah er nicht mehr,
     auch zum Schreien kam er nicht.
    Im Nebenzimmer pfiff gerade Agneškas Wasserkocher. Niemand hörte das kurze Ploppen.
    »Hab ich dich eigentlich gefragt, ob du gefrühstückt hast? Ich könnte schnell ein paar Hörnchen aufbacken …«
    Agneška erstarrte mit dem Tablett auf der Schwelle. Sie vergaß, daß auf dem Tablett zwei Tassen mit heißem Kaffee standen,
     und preßte die Hand vor den Mund. Die Tassen fielen klirrend zu Boden, zerbrachen, und die süße braune Flüssigkeit floß über
     den Teppich.
    Wieder zu sich gekommen, fing Agneška an zu weinen und rief die Polizei und den Notarzt an.

Zweites Kapitel
    Vera Saltykowa hörte das Faxgerät summen, drehte sich auf die andere Seite und wickelte sich in ihre Decke. Sie war todmüde,
     obwohl es schon elf Uhr vormittags war. Sie war um vier ins Bett gegangen und konnte sich nun nicht zwingen, die Augen aufzumachen.
    »Verotschka! Ich gehe!« rief ihre Mutter im Flur.
    Vera murmelte eine undeutliche Antwort und zog sich die Decke über den Kopf. Die Tür klappte. Ein paar Minuten lang war es
     still. Dann klackten vier Pfoten eilig übers Parkett.
    »Huh!« rief Vera, als eine kalte, nasse Hundeschnauze ihre Ferse kitzelte. »Matwej, ich schlafe, laß mich in Ruhe.« Sie rollte
     sich auf der breiten Couch zur Wand und zog die Beine an.
    Der zweijährige rotbraune Irische Setter stellte die Vorderpfoten auf die Couch, schob die Nase unter die Decke und leckte
     Vera ungeniert die Wange.
    »Warum?« stöhnte Vera. »Warum erlaubst du dir so was bei Mama nie?« Sie öffnete endlich die Augen und richtete sich auf.
    Der Hund setzte sich auf den Boden, erhob sich dann, streckte eine Pfote aus, wedelte wie wild mit seinem buschigen

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