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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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dir?« hörte Skwosnjak den Mongolen fragen.
    Die Frau wollte aufstehen. Skwosnjak, kaum hatte er ihre Regung gespürt, hieb ihr die Handkante gegen die Kehle und sagte
     leise: »Ich bin fertig.«
    Er staunte, wie schnell das Leben im menschlichen Körper erlosch. Ein einziger Schlag, und es war dahin. Das gingso rasch und mühelos wie einen Fisch betäuben oder einem Huhn den Hals umdrehen.
    Er tat es noch dreimal. Zwei kräftige junge Männer und ein vierzehnjähriger Junge. Mit allen wurde er spielend fertig, erledigte
     sie mit einem Handkantenschlag gegen die Kehle. Sie wehrten sich nicht einmal, als wüßten sie, daß es sinnlos wäre. Und alle
     flehten sie um Gnade, hofften bis zur letzten Sekunde, hätten alles gegeben, was sie besaßen, um am Leben zu bleiben.
    Fremdes Leben war so zerbrechlich – und es war ein süßes Gefühl, Macht darüber zu besitzen. Ein Schlag, und es war vorbei.
    Doch der fünfte Mord fiel ihm schwer.
    Den fünften mußte er erschießen, und zwar so, daß er bis zum letzten Moment nichts ahnte. Hätte er es auch nur eine Sekunde
     vor dem Schuß geahnt, wäre er selbst, Skwosnjak, eine Leiche gewesen.
    Der fünfte war der Mongole.
    Skwosnjak war inzwischen zwanzig und konnte alles allein, mußte aber dem krummbeinigen kleinen Mann folgen wie ein riesiger
     starker Bär einem alten Zigeuner auf dem Jahrmarkt. Wenn der Herr pfiff, mußte der Bär tanzen. Zuckte der Herr mit der Wimper,
     riß der Bär jeden in Stücke.
    Der Haß in Skwosnjak wuchs langsam, vorsichtig, doch eines Tages erfüllte er sein ganzes Wesen. Und er bekam Angst – der Mongole
     sah alles, sobald er etwas ahnte, würde er ihn töten. Dem Mongolen konnte man nichts vormachen.
    Skwosnjak fand, er habe seine Schuld dem Mongolen gegenüber abgetragen. Nun konnte er selbst eine kleine Truppe zusammenstellen
     und leben, wie es ihm gefiel, nach eigenem Gutdünken töten und sich nehmen, was er wollte – nicht mehr heimlich, verborgen
     vor den Schlitzaugen.
    Sachar war aus dem Lager zurück, und es gab in ganz Rußland keinen ernstzunehmenden Kriminellen, der nichtschon bei der erfahrenen Autorität Rat und Hilfe gesucht hätte. Sachar schlichtete die gefährlichsten Streitfälle, er hatte
     fast immer das letzte Wort. An Aktionen beteiligte er sich nur noch mit Ratschlägen, ansonsten lebte er bescheiden, wie es
     sich für einen gesetzestreuen Dieb gehörte.
    Skwosnjak registrierte, daß Sachar nicht mehr so hart war wie früher. Immer häufiger kam ihm das sinnlose Wort »Gewissen«
     über die Lippen. Mitunter bereute er im Suff alte Sünden, sprach von Seele und von Gott.
    »Ich traue niemandem, mein Sohn. Niemandem. Wenn ich mal tot bin, dann werden die jungen Wölfe sich gegenseitig auffressen.
     Dann kommt eine neue Zeit. Die Zeit der Gesetzlosigkeit. Niemand wird sich mehr an das alte Diebesgesetz halten, die Neuen
     werden sich alles erlauben. Aber das darf nicht sein. Wenn das einer so macht, noch einer – dann fließt Blut, viel Blut. Sie
     werden darin selber ertrinken. Halt dich fern von den Kriminellen, mein Sohn. Traue niemandem. Bleib für dich, du bist stark
     genug dafür. Ich hatte mir für dich ein ganz anderes Los gewünscht. Du solltest studieren, eine gute Frau heiraten, Kinder
     haben … Und ich so was wie Enkel. Weißt du, wie gern ich Enkel hätte? Nein, das weißt du nicht, das verstehst du nicht. Und
     nun wirst du es auch nie mehr verstehen. Es ist zu spät. Du kannst den eingeschlagenen Weg nicht mehr verlassen. Ich bin selber
     schuld, ich selbst hab dich damals ins Fenster einsteigen lassen. Ich wollte nur das Beste … Ich hab den Mongolen nicht durchschaut,
     sein verdorbenes Wesen …«
    Skwosnjak hörte sich die langen, trunkenen Monologe geduldig an und dachte dabei, daß er selbst nie so tief sinken würde.
     Sachar war eine Memme geworden.
    »Du solltest nicht so viel trinken, Sachar«, sagte er, »das schadet dir.«
    »Ja, mein Sohn, mach ich nicht.« Er kippte ein weiteres Glas. »Noch ehe ich recht zu mir gekommen bin, ist das Leben schon
     vorbei. Nun bin ich alt, nicht an Jahren, abermeine Seele ist alt und meine Haut. Das Diebesleben ist kurz, und eines Tages muß man sich verantworten, später …«
    »Vor wem denn?« fragte Skwosnjak mürrisch. »Da ist keiner. Nur Leere.«
    »Woher willst du das wissen? Werd erst mal alt, leb ein ganzes Leben. Und bring keinen mehr um, mein Sohn. Sie erscheinen
     dir später im Traum, wenn du mal alt bist.«
    »Nein, das werden

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