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Keinmaerchen

Keinmaerchen

Titel: Keinmaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil
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als je eins der Kinder überlebt hat.
    Der Junge ist unruhig. In den kurzen Wachphasen tastet er nach ihrer Hand. Wenn er sie findet, verschmelzen ihre Hände zu einer und schimmern in den Spektralfarben, bevor das Weiß ihrer Haut noch weißer wird. Ich muss den Blick abwenden, so sehr blendet es.
    20.50 Uhr. Ich habe die Fotos der Probanden durchgesehen. Vollständige Dokumentationen ihrer körperlichen Veränderung. Niemand würde glauben, dass diese Bilder echt sind. Niemand würde glauben, dass diese Veränderungen absichtlich hervorgerufen wurden.
    Professor Ruben musste den Versuch beenden. Man hätte uns allen die Approbation entzogen, er hatte keine Wahl.
    Blödsinn! Man hat immer die Wahl. Wir alle hatten die Wahl und haben die falsche getroffen. Zu spät, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, was gewesen wäre, wenn wir schon früher abgebrochen hätten. Vielleicht hätten wir einige der Kinder retten können. Vielleicht auch nicht. Aber es wäre unsere verdammte Pflicht gewesen. Aber auch dafür ist es nun zu spät.
    Ich bin froh, dass ich keine eigenen Kinder habe, die in meinen Augen lesen könnten, was ich wirklich bin. Ich kann nicht einmal mehr in den Spiegel sehen und doch sehe ich mich, manchmal, wenn der Junge einen seiner wenigen klaren Momente hat und mich ansieht. Dann sehe ich mich durch seine Augen. Unbeschreiblich, wie hässlich ich bin.
    Es war die richtige Entscheidung hierzubleiben. Wenigstens einmal in meinem Leben habe ich die richtige Entscheidung getroffen.
    4.10 Uhr. Ich habe zwei Stunden in meinem Schreibtischstuhl geschlafen und bin müder als zuvor.
    Der Junge lag auf dem Boden. Er blutet aus einer Stirnwunde. Farbloses Blut. Der Anblick lässt mich frösteln, auch wenn ich es schon hunderte von Malen gesehen habe. Ich habe ihn zurück auf die Liege gehoben. Er ist so leicht. Von Stunde zu Stunde scheint er an Substanz zu verlieren.
    Das Mädchen rührt sich nicht mehr. Ihr Puls rast und die Körpertemperatur beträgt 32 Grad.
    Ich darf nicht mehr einschlafen, es ist zu gefährlich. Ich könnte nicht rechtzeitig aufwachen, wenn es soweit ist. Also werde ich wachen, bis zum Ende.

 
     
    Let the children lose it
    Let the children use it
    Let all the children boogie
     
    (David Bowie: Starman)

Erin
    Es ist wie ein Sprung in eisig kaltes Wasser. Es schlägt über deinem Kopf zusammen und fängt dich in einem leeren Raum ein. Ein leerer Raum, der so voll ist, dass du nicht atmen kannst.
    Beeindruckend, sagt er. Nicht wahr?
    Ja, sage ich. Ja.
    Sie lenkt die Töne mit ihren Händen. Hände aus einem samtigen Weiß, das nicht in den Augen schmerzt. Ihre Bewegungen haben Schweife wie Kometen. Sie knistern und es riecht nach Rauch. Die Luft schmeckt harzig.
    Die Flügel. Gesponnen aus nebligen Klängen. Weiche Bewegungen. Perfekte Formen. Der Anblick tut weh, ganz tief in meiner Brust. Es sind so viele, sage ich. Wie viele sind es?
    Das spielt keine Rolle. Sie sind, sagt er. Das ist alles was zählt.
    Sie sind. Und sie sind unbeschreiblich. Unbeschreiblich schön, unbeschreiblich beängstigend. Sie sind wie die kurze Spanne, wenn die Nacht auf den Tag trifft und alles Eins ist. Meine Knie geben nach. Ich falle und sie hält inne. Sieht mich an. Und die Albe sehen in mich hinein.
    Was machst du denn?, fragt er und sie verschränkt die Arme vor der Brust. Die Albe zerfallen in unzählige Splitter. Sie tropfen auf den Boden. Klingeln und Schellen. Sie fängt die Töne ein. Jeden einzelnen. Lässt sie vorsichtig in den Korpus des Cellos gleiten und dann dröhnt die Stille durch den Raum. Vollkommene Tonlosigkeit. Nichts.
    Ich muss atmen. Wenn ich nicht weiter atme, werde ich ohnmächtig werden. Klack-klack-klack. Das Klacken seiner Füße auf dem Fliesenboden. Er huscht zwischen ihren Füßen hindurch und ich sauge Luft durch meine Zähne.
    Das Holz ist kühl und glatt. Ahorn, sagt sie und ihre Stimme klingt wie die Töne, die sich im Inneren des Instruments zusammengekauert haben und warten, dass sie sie wieder herausruft. Ich spüre ihre Gesichter, die sich von innen gegen das Holz pressen. Die Angst ist so stark in ihnen. Ich könnte sie nicht unter Kontrolle halten. Wie machst du das?, frage ich. Sie zuckt mit den Schultern. Wie machst du es?, fragt sie.
    Ich mache nichts. Gar nichts. Sie sind einfach da.
    Wann bekomme ich die Albe?, fragt er.
    Gestern, sagt sie und lacht.
    Ich bekomme sie, sagt er. Ich warte. Ich habe Zeit.
    Sie legt den Kopf schief und lauscht, die Lider halb

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